73 - Der Dukatenhof
Paaren die männliche Schuljugend folgte, begleitet von den Lehrern und dem Ordensgeistlichen. Dann kam der reich mit Kränzen und Girlanden geschmückte, von sechzehn Männern getragene Sarg, dem sich nach den nächsten Verwandten der Verstorbenen eine Reihe von Bekannten anschloß. Natürlich richtete sich die Aufmerksamkeit der Zuschauer vor allen Dingen auf die Hinterlassenen der Toten. Es waren dies nur zwei Personen, welche nebeneinander gingen, der Dukatenbauer und seine Tochter.
Der erstere mußte schon durch seine äußere Erscheinung auffallen. Es war ein hoch und kräftig gebauter Mann im Ausgang der fünfziger Jahre; seine ganze Haltung zeigte den selbstbewußten, unlenksamen Charakter, durch den er selbst über den häuslichen Kreis hinaus gefürchtet und – gemieden war. Keine Träne stand in seinem Auge; kein Zug der Trauer war in seinem harten, finsteren Angesicht zu bemerken; an der Schleife seines Hutes glänzten, wie immer, die sechs blanken Dukaten; wie immer hing ihm statt der Uhrkette die lange Dukatenschnur um den Hals, und wie immer reihten sich an der Weste und dem offenstehenden Rock an Stelle der Knöpfe Dukaten an Dukaten. Er hieß Graf, wurde allgemein der Dukatengraf genannt und wollte auf diesen Beinamen, welcher sein größter Ruhm und Stolz war, nicht einen Augenblick verzichten, auch nicht für diese Stunde, in welcher jeder andere den irdischen Flimmer von sich geworfen hätte, um auch an seinem Kleid zu zeigen, daß er die Macht eines höheren Gerichts anerkennen müsse.
Auch das Mädchen an seiner Seite hatte keine Tränen. Aber, das sah man auf den ersten Blick, sie fehlten nur, weil sie bisher zu reichlich geflossen waren. Es trug das mit den schweren Flechten umwundende Köpfchen tief gesenkt; die sonst so rosigen Wangen waren erbleicht, und die gefalteten Hände drückten sich auf die Brust, als müßten sie das schmerzerfüllte Herz vor dem Zerspringen bewahren. Aller Augen wandten sich mit Unwillen vom Vater weg auf die Tochter, und dann gab es keinen Blick, in welchem nicht das innigste Mitleid und die wärmste Teilnahme zu lesen gewesen wären.
Es war das erste Mal, daß eine Leiche ohne Gesang durch das Dorf getragen wurde, aber die Tote hatte es ausdrücklich so gewollt. Ihr Leben war ein stilles gewesen; sie hatte im stillen gewirkt und gelitten; im stillen wollte sie nun auch beerdigt sein. Nur draußen auf dem offenen Grab sollte man ihre einen Vers singen, den einzigen Vers; den hatte sie sich selbst gewählt und noch in ihrer letzten Stunde beim Pfarrer bestellt. War sie dabei vielleicht von dem Wunsch geleitet worden, im Tod ein mahnendes Wort an das Gewissen ihres Gatten zu richten, da sie im Leben es niemals hatte wagen dürfen? Wenigstens richteten sich die Blicke unwillkürlich auf ihn, als sich auf dem Kirchhof der Kreis um den geöffneten Sarg geschlossen hatte und nach der bekannten Melodie die ernste Erinnerung erklang:
„O Ewigkeit, du Donnerwort,
O Schwert, das durch die Seele bohrt,
O Anfang sonder Ende.
O Ewigkeit, Zeit ohne Zeit,
Vielleicht schon morgen oder heut'
Fall' ich in deine Hände.
Mein ganz erschrock'nes Herz erbebt,
Daß mir die Zung' am Gaumen klebt.“
Das Kind der Verstorbenen kniete an der Seite des Sargs und hatte in wortlosem Schmerz den Kopf in das Kleid der toten Mutter gehüllt. Der Dukatenbauer stand aufrecht daneben; sein Auge ruhte nicht auf den Zügen, die er jetzt zum letzten Mal sehen durfte, sondern er begegnete mit zornigem Ausdruck den auf ihn gerichteten Blicken der Anwesenden. Die Adern seiner Stirn traten dunkler und deutlicher hervor; die Lippen preßten sich kräftiger aufeinander, und die Hände hoben sich langsam, wie bereit zur Abwehr der Beleidigung, die er in den Gesang und die Blicke legte.
Als der letzte Ton verklungen war, trat der Geistliche zu Häupten der Verstorbenen und begann seine Rede; aber er nahm nicht, wie sonst üblich, ein Bibelwort zum Thema derselben, sondern es diente ihm der soeben gesungene Vers dazu. Auch das hatte die Tote gewollt, ihr Wille mußte befolgt werden. Der Pfarrer war im weiten Umkreis als einer der besten Redner bekannt; er hatte schon oftmals harte Seelen auf das tiefste erschüttert, und man ahnte, daß er sich heute eine ähnliche Aufgabe gestellt hatte. Trotz des milden, linden Tons, in welchem der greise Seelsorger sprach, fühlte auch der Dukatengraf diese Absicht. Sein Stolz bäumte sich dagegen auf; die Falten, welche sich ihm von Schläfe zu Schläfe zogen,
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