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74 - Mein Leben und Streben

74 - Mein Leben und Streben

Titel: 74 - Mein Leben und Streben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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der Melodie, die mir am besten gefiel, waren sieben vierzeilige Strophen zu singen, deren erste hierhergesetzt sein mag:
    „Non vénérons de l'Arabie
La sage et noble antiquité,
Et la célèbre Confrérie
Transmise à la postérité.“
    Das Wort ‚Freimaurerlieder‘ reizte ganz besonders. Welch eine Wonne, in die Geheimnisse der Freimaurerei eindringen zu können! Glücklicherweise erteilte der Herr Rektor für Privatschüler auch französischen Unterricht. Er gestattete mir, in diesem ‚Zirkel‘ einzutreten, und so kam es, daß ich mich jetzt mit dem Lateinischen, Englischen und Französischen zugleich zu befassen hatte.
    Der Herr Rektor war in Beziehung auf das Bücherverleihen weniger zurückhaltend als der Herr Kantor. Sein Lieblingsfach war Geographie. Er besaß Hunderte von geographischen und ethnographischen Werken, die er meinem Vater alle für mich zur Verfügung stellte. Ich fiel über diesen Schatz mit wahrer Begeisterung her, und der gute Herr freute sich darüber, ohne irgendein doch so naheliegendes Bedenken zu hegen. Obgleich er auf eine Pfarrstelle reflektierte, war er in seinem Innern mehr Philosoph als Theologe und einer freieren Richtung zugeneigt. Das sprach sich aber weniger in seinen Worten, als vielmehr in den Büchern aus, die er besaß. Zu derselben Zeit öffnete mir auch der Herr Pastor seine Bibliothek. Er war ganz und gar nicht Philosoph, sondern nur und nur und nur Theologe, weiter nichts. Ich meine mit ihm nicht unsern alten, guten Pfarrer, von dem ich schon gesprochen habe, sondern dessen Nachfolger, der mir zunächst alle seine Traktätchen zu lesen gab und hierzu dann allerlei Erweckungs-, Erbauungs- und Jugendschriften von Redenbacher und andern guten Menschen fügte. So kam es, daß ich vom Rektor z.B. eine begeisterte Schilderung der islamitischen Wohltätigkeit vor mir liegen hatte und vom Herrn Pastor daneben einen Missionsbericht, in welchem über das offensichtliche Nachlassen der christlichen Barmherzigkeit bittere Klage geführt wurde. In der Bibliothek des einen lernte ich Humboldt, Bonpland und alle jene ‚Großen‘ kennen, welche der Wissenschaft mehr als der Religion vertrauen, und in der Bibliothek des zweiten alle jene andern ‚Großen‘, denen die religiöse Offenbarung himmelhoch über jedem wissenschaftlichen Ergebnis steht. Und dabei war ich nicht etwa ein Erwachsener, sondern ein dummer, ein ganz dummer Junge; aber noch viel törichter als ich waren die, welche mich in diese Konflikte fallen und sinken ließen, ohne zu wissen, was sie taten. Alles, was in diesen so verschiedenen Büchern stand, konnte gut, ja konnte vortrefflich sein; mir aber mußte es zum Gift werden.
    Aber es kam noch Schlimmeres. Der sprachliche Privatunterricht, den ich jetzt bekam, mußte bezahlt werden, und ich war es, der sich dieses Geld auf irgendeine Weise zu verdienen hatte. Wir sahen uns um. Für eine Hohensteiner Schankwirtschaft wurde ein gewandter, ausdauernder Kegelaufsetzer gesucht. Ich meldete mich, obwohl ich keine Übung besaß, und bekam die Stelle. Da habe ich freilich Geld verdient, sehr viel Geld, aber wie! Durch welche Qualen! Und was habe ich noch außerdem dafür geopfert! Der Kegelschub war ein vielbesuchter, zugebauter und heizbarer, so daß er zur Sommer- und zur Winterszeit und bei jeder Witterung benutzt werden konnte. Es wurde täglich geschoben. Von jetzt an hatte ich keine freie Viertelstunde mehr, besonders auch keinen Sonntagnachmittag. Da ging es gleich nach der Kirche los und dauerte bis zur späten Abendstunde. Der Haupttag aber war der Montag, denn dieser war der Tag des Wochenmarktes, an dem die Landbewohner zur Stadt kamen, um ihre Erzeugnisse zu bringen, ihre Einkäufe zu machen und – last not least – eine Partie Kegel zu schieben. Aus dieser einen aber wurden fünf, wurden zehn, wurden zwanzig, und es kam an diesen Montagen vor, daß ich mich von Mittags zwölf Uhr an bis nach Mitternacht zu schinden hatte, ohne auch nur fünf Minuten ausruhen zu können. Zur Stärkung bekam ich des Nachmittags und des Abends ein Butterbrot und ein Glas abgestandenes, zusammengegossenes Bier. Es kam auch vor, daß ein mitleidiger Kegler, welcher sah, daß ich kaum mehr konnte, mir ein Glas Schnaps herausbrachte, um meine Lebensgeister anzuregen. Ich habe mich ob dieser übermäßigen Anstrengungen daheim niemals beklagt, weil ich sah, wie notwendig man das, was ich verdiente, brauchte. Der Betrag, den ich da wöchentlich zusammenbrachte, war gar nicht

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