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8 Tage im Juni

8 Tage im Juni

Titel: 8 Tage im Juni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Glaser
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Skelett des Autos war verschwunden, heute schraubten die Tartaren alte Waschmaschinen auseinander. Auf dem Platz vor dem Blauen Tor wuchs ein mobiles Ersatzteillager. Die untergehende Sonne spiegelte sich in herumliegenden Metallteilen und die ausgeschlachteten Motoren warfen kantige Schatten auf den staubigen Platz. Das Ganze kam Jenny ein bisschen wie eine Bühne vor. Die Tartaren in langen Hosen und gerippten Unterhemden riefen sich fremde Worte zu, tänzelten zwischen den Maschinen herum oder stemmten wie Gewichtheber auf dem Rummel schwere Teile und ließen sich durch die bewundernden Blicke der Zuschauer feiern. Mit den filterlosen Zigaretten im Mundwinkel erinnerten sie Jenny an Männer aus den alten Schwarzweißfilmen von Oma Hilde. Ein knisterndes Transistorradio beschallte den Platz. Melancholische Wolgamusik, Russendisco. Solang sie nicht tranken, waren die Tartaren freundlich und umgänglich. Aber nach Sonnenuntergang würden sie die Wodkaflaschen kreisen lassen und dann machte man besser einen großen Bogen um sie.
    Jenny grüßte Oleg, den ältesten, mit einem leichten Kopfnicken. Besser man stellte sich gut mit den Tartaren, das wusste sie. Es konnte übel ausgehen, sie zum Feind zu haben. Dann folgte sie Rintintin. Ein Stück weit liefen sie den Weg zum Einkaufsparadies, bevor sie in Richtung Bahndamm auf das Brachland abbogen, das nach dem Bau des Einkaufsparadieses übriggeblieben war. Rintintin witterte ein Kaninchen und stob davon. Jenny folgte ihm auf einem der Trampelpfade und rupfte hie und da einen Grashalm aus der Erde. Sehnsüchtig sah sie den Zügen nach, die über die Gleise rollerten und in die untergehende Sonne hineinfuhren. Abhauen. Verreisen. Sie schloss die Augen. Vielleicht irgendwann.
    Je weiter sie sich von der Straße entfernte, desto schmaler wurde der Pfad. Die Brennnesseln rechts und links wuchsen hüfthoch, dahinter standen junge Birken und Brombeerhecken. Bis zum Bahndamm würde sie nicht gehen, in den Höhlen darunter hausten die Busch-People, und die waren Jenny unheimlich. In der Roten Burg erzählte man, dass sie aus dem Urwald kamen, Hunde und Katzen fraßen, in Höhlen auf der nackten Erde schliefen, kein Wort Deutsch sprachen und alles klauten, was nicht niet- und nagelfest war. Am Schutthügel würde sie umkehren. Auf dessen Rückseite gab es ein kleines Rasenstück und diesen wild wuchernden Schmetterlingsbaum, unter dem sie als Kinder so gerne gepicknickt hatten. Auf dem Rasenstück wuchsen Margeriten. Ein Strauß Margeriten für den Küchentisch. Darüber würde Jasmin sich freuen.
    Sie umrundete den Schutthügel und pfiff nach Rintintin, dann stockten ihre Schritte. Unter dem Schmetterlingsbaum saßen Toni und die zwei U-Bahn-Schläger. Ihr Herz beschleunigte schnell von null auf hundert. Sie wollte weglaufen, verschwinden, im Boden versinken, merkte aber, dass sie sich nicht bewegen konnte. Toni tätschelte Rintintin den Kopf und hielt ihn an seinem Halsband fest, damit er nicht nach einem der fünf toten Karnickel schnappte, die die Jungen fein säuberlich vor sich aufgereiht hatten. Der mit dem irren Blick spielte mit einem Draht zwischen seinen Fingern. Nicht nur deshalb war Jenny sich sicher, dass er die Karnickel getötet hatte. Ihre Hand krampfte sich um den Kuli in ihrer Hosentasche. Alarmstufe rot. Sofortiger Rückzug.
    Â»Schau mal, er kennt mich noch«, prahlte Toni und kraulte nun Rintintins Fell. »Braver Hund! Der weiß genau, wer sein Freund ist.«
    Â»Bei Fuß!«, zischte Jenny und war froh, dass man ihrer Stimme die Panik nicht anmerkte. »Rintintin, wir müssen nach Hause.«
    Â»Warum so eilig, Jenny?« Toni erhob sich und kam mit Rintintin auf sie zu. »Kannste dich noch erinnern, wie wir hier immer gespielt haben?«
    Â»Doktorspielchen?«, fragte der Irre und zog sie dabei mit Blicken aus. Langsam wickelte er sich den Draht um die Hände und zog ihn straff. Jennys Herz drohte auszusetzen.
    Â»Wer ist die denn?«
    Der Breitschultrige stand ebenfalls auf. Ein Bär von einem Kerl mit Kraft für zwei. Was sollte sie da mit ihrem Kuli ausrichten? Selbst wenn sie ihn ins Auge stach, blieb noch der Irre. Der Irre war der Gefährlichste, das spürte sie.
    Â»Das ist Jenny. Mit der habe ich schon im Sandkasten gesessen. Süß, nicht?«, erklärte Toni und legte den Arm um ihre Schultern.
    Am liebsten hätte sie den

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