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8 Tage im Juni

8 Tage im Juni

Titel: 8 Tage im Juni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Glaser
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wütendes Gezeter, kletterte auf das Hochbett und griff nach dem kleinen Kistchen hinter ihrer Musikanlage. Ein Zwei-Eurostück, ein paar Centstücke, doch alle Scheine waren weg. Jennys Blick fiel auf die Metalldose mit dem Schloss, die sie heute Morgen im Sperrmüll gefunden hatte. Ätsch-bätsch, schien sie zu sagen. Du hast mich zu spät gefunden. Es gibt keinen Schatz mehr, den ich für dich sichern kann. Bist halt eine Pech-Marie.
    Â»Ich geb dir das Geld doch wieder«, flüsterte Jasmin, die Jenny gefolgt war und im Türrahmen stand. »In zehn Tagen kommt die nächste Hartz-IV-Rate. Ich lege auch noch fünf Euro drauf. Zinsen sozusagen.«
    Â»Geld, ich will auch Geld«, kreischte Joe-Joe, sprang auf und klammerte sich wie ein Äffchen an Jasmin.
    Â»Es muss doch möglich sein, dass ich mir auch mal was gönne«, jammerte Jasmin weiter.
    Â»Ach ja?«, fuhr Jenny schnell dazwischen. Ihre Stimme bebte vor Wut und Verzweiflung. »Und was ist mit mir? Die fünfzig Euro waren für die Klassenfahrt. Die habe ich mir mühsam zusammengespart. Die wollte ich der Safranski morgen als Anzahlung geben. Und weißt du warum? Weil du nicht in der Lage bist, beim Jobcenter Druck zu machen, damit die endlich die Knete für die Fahrt rausrücken. Weil du zu nichts in der Lage bist. Außer die eigene Tochter zu beklauen.«
    Jasmin begann hemmungslos zu schluchzen und Joe-Joe greinte: »Jenny, red nicht so mit Mama!«
    In das Schluchzen und Greinen hinein mischten sich die gellenden Pfiffe der Loks draußen auf den Gleisen. Jenny wusste, dass sie gleich wie ein verletzter Werwolf losheulen und nie mehr damit aufhören würde, wenn sie nicht sofort aus diesem Irrenhaus herauskam. Sie musste hier weg, egal wohin, selbst wenn sie heute Nacht irgendwo unter einer Brücke schlief. Blind suchte sie ein paar Klamotten zusammen, packte alles in den Schulrucksack, kletterte vom Hochbett, schob Jasmin und Joe-Joe beiseite, pfiff nach Rintintin und stürzte aus der Wohnung.
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    Lovis stand im Treppenhaus und lauschte. Nichts. Doch. Von oben hörte er heftiges Türeschlagen. Eine weinerliche Stimme rief: »Jenny, das kannst du mir nicht antun! Komm zurück!« Jenny! Ihretwegen war er doch gekommen. Was sollte er jetzt tun? Weglaufen? Auf sie warten?
    Jenny nahm ihm die Entscheidung ab. Keine fünf Sekunden später stand sie direkt vor ihm. Sie wirkte nur einen Augenblick überrascht. Dann deutete sie auf die Haustür und sagte: »Los, raus hier.«
    Sie riss die Haustür auf und stürmte nach draußen. Lovis folgte ihr mit dem nervösen Blick eines Verfolgten. Er sah sofort zum Haus des Schlägers hinüber. Da war keiner mehr, nur die Schaukel auf dem Kinderspielplatz hinter ihm quietschte. Lovis erkannte das Mädchen, das vorhin auf dem Schwebebalken geturnt hatte. Sie winkte ihm zu. Hinten beim Bolzplatz eine Frau mit Hund. Sonst war niemand im Innenhof. Eilig lief er Jenny nach, die schon beim Tor angelangt war.
    Auf dem Platz davor flackerte ein Lagerfeuer, und die Männer, die bei seiner Ankunft träge in den Plastikstühlen gehangen hatten, zerlegten zwei alte Mercedes-Transporter in ihre Einzelteile. Sie redeten Russisch miteinander. Lovis verstand nur wenig. Es war ein Dialekt, weit weg von dem Russisch, das Larissa sprach, und noch weiter weg von dem Russisch, das er in der Schule lernte. Manche der Männer trugen Unterhemden, andere arbeiteten mit nacktem Oberkörper, eine Ansammlung geballter Muskelkraft. Mit denen würde sich so schnell keiner anlegen.
    Â»Waschmaschine? Was sagt Mutter?«, rief einer von ihnen und kam auf Jenny zu.
    Kippe im Mundwinkel, zerfurchtes Gesicht, Habichtaugen, die Lovis abcheckten.
    Â»Ich habe es ihr gesagt. Sie braucht immer so viel Zeit zum Überlegen«, antwortete Jenny. »Nochmals danke für das Angebot, Oleg.«
    Â»Sag ihr, bis morgen, dann Schluss.« Ein tiefer Zug aus der Zigarette, dann warf er sie weg und deutete auf Lovis. »Kamerad aus der Schule?«
    Â»So was Ähnliches«, antwortete Jenny. »Ich bring ihn zur Bahn.«
    Â»Und wer passt auf auf dich?«
    Der Blick des Russen war jetzt väterlich besorgt. Für Lovis war es offensichtlich, dass der Mann Jenny mochte. Natürlich. Unvorstellbar, ein Mädchen wie Jenny nicht zu mögen.
    Â»Ich hab doch Rintintin!« Sie streichelte den Hund, der wieder nicht von ihrer Seite

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