8 Tage im Juni
wich, und machte Lovis ein Zeichen weiterzugehen.
Bald erreichten sie den Schotterweg. Jenny lieà den Hund von der Leine. Aber er lief nicht weit, nach ein paar Metern kehrte er wieder zurück, umkreiste Lovis, lieà sich von Jenny streicheln.
»Wo willst du hin?«, war das Erste, das Lovis fragte, als er seine Sprache wiederfand. Der Satz kam gepresst aus seinem Mund, aber immerhin stotterfrei.
»Keine Ahnung«, antwortete Jenny, griff nach einem Stock und warf ihn in hohem Bogen durch die Luft. »Hol ihn, Rintintin!«
Der Hund brachte den Stock zurück, lieà sich von Jenny loben und beschnupperte Lovisâ Bein.
»Er mag dich«, sagte Jenny.
»K-komischer Name. Re-rettin â¦Â«
»Rintintin! Ein echter Zungenbrecher, wohl wahr.« Jenny lachte. »Ist auf Oma Hildes Mist gewachsen. Gab mal eine Serie im Fernsehen. Ganz früher in SchwarzweiÃ. Hat Oma Hilde als Kind geliebt. Deshalb heiÃt er so. Aber du hast auch einen komischen Namen. Lovis! Noch nie gehört!«
Sein Name. Kompromiss der langwierigen Suche eines deutsch-russischen Paares nach einem Namen für ihren Sohn. Gustav mochte keine russischen, Larissa keine deutschen, schon gar keine amerikanischen und auch keinen französischen Namen. Also verständigten sie sich irgendwann auf den Namen des Malers, bei dessen Ausstellung sie sich kennengelernt hatten. »Nach Lovis Corinth, ei-ei-einem Maler«, kürzte er die Geschichte ab.
»Kenn ich nicht.«
»Kennt kaum ei-ei-einer.«
»Da bin ich ja beruhigt.« Wieder warf sie den Stock in die Luft. »Sag mal, stotterst du, weil du aufgeregt bist oder schon immer?«, fragte sie dann.
Erst Jennys Frage machte Lovis bewusst, dass er die ganz Zeit mit ihr geredet hatte. Geredet war etwas hoch angesetzt, aber er hatte ihr immer geantwortet. Die Worte hatten sich nach dem ersten Stottern nicht beleidigt in seinem Mund zusammengezogen, sondern hatten sich weiter mit ihren krüppeligen Dopplungen und Dehnungen herausgewagt.
»Früher mal u-u-und jetzt wieder«, gestand er.
Jenny nickte. »Tut das noch weh?« Sie deutete auf sein Boxerauge.
Lovis deutete mit den Fingern »ein bisschen« an. Es erleichterte ihn, dass sie nicht nachfragte, was er mit »jetzt« meinte. Genau wie er wollte sie noch nicht über den Ãberfall reden. Zu viele schwierige Fragen. Irgendwann würden sie darüber sprechen können. Er hatte Jenny gefunden, das war die Hauptsache.
Ein Güterzug, der über die Gleise rumpelte, zerriss die Stille, in der sie seit ein paar Minuten einträchtig nebeneinander herliefen. Bald hatten sie den Wiener Platz erreicht und sahen hinter der Mülheimer Rheinbrücke eine blutrote Sonne untergehen.
»U-u-und jetzt?«, fragte er.
»Wo musst du denn hin?«, fragte sie zurück.
»Blumental, da wohn ich.«
»Feine Gegend.«
Im Vergleich zu deinem Wohnblock schon, dachte Lovis und zuckte mit den Schultern. Er dachte an den Streit, den Jenny wohl zu Hause gehabt hatte. Ob sie abgehauen war? Ob sie ein Quartier für die Nacht brauchte? »Wir haben ein Gästezimmer«, traute er sich zu sagen. »Wenn du willst, kannst du bei u-u-uns ü-übernachten.«
»Wieso nicht?«, antwortete sie und schlug den Weg zur U-Bahn-Station ein.
In der Bahn setzten sie sich nebeneinander. Rintintin legte sich zu ihren FüÃen. Lovis genoss es, beim Ruckeln des Zuges wie zufällig mit seinen Schenkeln an Jennys zu stoÃen. Er fühlte sich ganz merkwürdig. So völlig anders als in den letzten Tagen. So völlig anders als noch vor einer Stunde vor ihrem Haus. Ohne Angst. Irgendwie glücklich.
»Hier müssen wir au-aussteigen«, sagte Lovis am Ebertplatz.
Die U-Bahn-Station Ebertplatz kannte Jenny noch, aber danach war ihr alles fremd. Sie liefen durch StraÃen mit Baumreihen in der Mitte und teuren Autos auf den Parkstreifen, und Jenny betrachtete die Häuser mit den gepflegten Vorgärten. Alte Häuser, sicher so alt oder sogar älter als die Rote Burg. Aber alle top in Schuss, viele mit Erkern und Türmchen, Stuck und Figuren, Türen aus altem Holz und Fenstern mit Sprossen. Vor einem gelben Haus mit weiÃen Stuckverzierungen und schmiedeeisernen Balkonen hielt Lovis an. Er lief voraus zum Eingang und tippte einen Code in ein erleuchtetes Zahlenfeld neben den goldenen Klingelschildern. Mit einem leichten Surren öffnete sich die
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