8 Tage im Juni
schwere Tür. Jenny sah an den beiden prächtigen Glyzinien hinauf, die sich rechts und links des Einganges an der Hauswand hinaufrankten, und entdeckte inmitten des wild wuchernden Grüns zwei Ãberwachungskameras. Klar. Dies war ein Haus von Reichen. Und Reiche taten alles, damit ihnen nichts von ihrem Reichtum geklaut wurde.
Das Treppenhaus war so breit wie in dem Schloss, das sie mal mit der Schule besichtigt hatten, die Treppen belegt mit einem schweren roten Teppich, der sie völlig geräuschlos in den zweiten Stock hinaufsteigen lieÃ. Dort öffnete Lovis jetzt mit einem Schlüssel eine weitere Tür und bat sie einzutreten. Sechs Türen zählte Jenny, die von dem breiten, hellen Flur abzweigten. Rintintin, der sich dicht an ihrer Seite hielt, war bestimmt genauso beeindruckt wie sie selbst. Lovis führte sie geradeaus, an allen Türen vorbei zu einer Küche, groà wie ein Tanzsaal. GröÃer auf alle Fälle als ihre ganze Wohnung in der Roten Burg. Lovis fragte, ob sie Hunger habe, und als Jenny nickte, öffnete er den Kühlschrank. Der war randvoll mit Fressalien! So volle Kühlschränke kannte Jenny nur aus dem Fernsehen.
»Ich kann Bratkartoffeln machen«, sagte sie schnell, »oder Bauernfrühstück, wenn du noch ein paar Eier und etwas Wurst hast.«
Lovis nickte begeistert und legte Eier, Schinken, Zwiebeln und Tomaten auf den Kochblock in der Mitte des Raumes, zauberte aus einer der vielen Schubladen ein Holzbrett hervor und bat sie, sich das passsende Messer aus der Messerleiste hinter dem Herd auszusuchen. Zehn Messer zählte Jenny da, von klein bis ganz groÃ. Die kosten ein Vermögen, das wusste sie aus den Interviews mit Tim Raue, dem Spitzenkoch. Sie schätzte, dass da mindestens tausend Euro vor ihr an der Wand hingen.
»Noch eine Pfanne«, befahl sie Lovis. »Hast du auch Essiggurken und Ketchup?«
Natürlich hatte er! Es schien nichts zu geben, was es in diesem Haushalt nicht gab. Sie nahm sich ein ganz kleines und ein ziemliches groÃes Messer von der Wand und begann mit dem kleinen, die Zwiebel zu schälen. Rintintin strich ihr um die Beine. Der merkte, dass es was zu essen gab.
»Kannst du Rintintin mal was zu trinken geben?«
Lovis nickte und stellte dem Hund einen Suppenteller mit Wasser hin. »Moment«, sagte er dann und verschwand für einen Augenblick aus der Küche.
Jenny schnippelte eilig ein dickes Stück von dem gekochten Schinken ab und warf es Rintintin hin. »So was Gutes kriegst du nicht alle Tage«, flüsterte sie.
Als Lovis zurückkam, hielt er so ein kleines graues Plastikrechteck hoch. Eine Zaubertafel, erinnerte sich Jenny bei genauem Hingucken. So eine hatte Oma Hilde ihr mal geschenkt, als sie noch ein Kind war. »Du kochst gerne, nicht wahr?« stand darauf geschrieben.
»Ja«, antwortete Jenny und nahm jetzt das groÃe Messer, um die geschälte Zwiebel klein zu schneiden. »Ich möchte Köchin werden. Schon mal was von Tim Raue gehört?«
Hatte er nicht, aber er schrieb schon die nächste Frage auf. »Was machst du sonst noch gerne?«, las Jenny.
Ja was? Mit Rintintin spazieren gehen? Oma auf dem Campingplatz an der Sieg besuchen? Mit Chantal und Cosima durch die Stadt bummeln? Das war alles nichts Besonderes. Dabei gäbe es so viele Dinge, die sie gerne einmal machen würde. Verreisen, zum Beispiel. Mal im richtigen Meer schwimmen. Salzwasser schlucken, durch Wellen tauchen. Mal für mehr als dreiÃig Euro Klamotten kaufen. Mal den Kühlschrank zu Hause so füllen, wie dieser hier gefüllt war. Sich mal von einem richtig guten Friseur die Haare schneiden lassen und nicht immer von Frau Yavuz aus der IVb, die in ihrer Küche für 5,50 Euro Haare schnitt, aber von guten Frisuren keine Ahnung hatte. Mal in ein Restaurant gehen und bestellen, ohne auf die Preise zu gucken. Mal ein Buch kaufen, wenn es aktuell ist, und nicht immer wochenlang auf das zerfledderte Exemplar aus der Schulbücherei warten müssen. Sich endlich einen Computer anschaffen und Mitglied bei Facebook werden. Die Wunschliste hätte sie noch endlos weiterführen können. Aber sie würde darüber nicht mit einem Jungen reden, für den dies alles Peanuts waren.
»Was ist dein gröÃter Wunsch?«, fragte sie stattdessen.
»Einen Marathon zu laufen«, schrieb er auf. »Erst in Köln, dann in Berlin. Danach Paris,
Weitere Kostenlose Bücher