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8 Tage im Juni

8 Tage im Juni

Titel: 8 Tage im Juni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Glaser
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    Warum hatte er Jenny nicht früher angesprochen? Am Wiener Platz oder auf dem Schotterweg? Neutrales Gelände wäre allemal besser gewesen als dieses Haus, wo er nicht wusste, was ihn drinnen erwartete. Was, wenn ihm ein bulliger, beim Fernsehen gestörter Vater die Tür öffnete? Oder ein großer Bruder, der eifersüchtig über seine kleine Schwester wachte? Was, wenn es Jenny unangenehm war, dass er einfach so bei ihr auftauchte? Wieso hatte er sich all diese Fragen nicht viel früher gestellt? Er kannte die Antwort. Er hatte Jenny einfach folgen müssen, deshalb.
    Aber ihr Wiedersehen sollte unter möglichst günstigen Bedingungen stattfinden, entschied er. Hier, in diesem Wohnblock aber waren die Bedingungen alles andere als günstig, das spürte er ganz deutlich. Also Rückzug, so schnell wie möglich. Im Dauerlauf zum Wiener Platz und dann mit der nächsten Bahn zurück auf die andere Rheinseite.
    Er hörte, wie in Jennys Haus jemand die Treppen herunterstieg. Gleich würde die Haustür aufgerissen werden, da wollte er nicht mehr hier stehen. Er drehte sich um. Schock pur. Den Typen, der zwei Häuser weiter vor die Tür trat, kannte er. Es war der Kleine, der mit der Zahnlücke, den er auf den Fotos bei der Polizei wiedererkannt hatte. In diesem Augenblick hätte Lovis seine Seele für Frodos Elben-Mantel verkauft, der unsichtbar machte. Aber es gab keinen Elben-Mantel und nichts, wo er sich verstecken konnte. Er stand vor diesem fremden Haus wie auf einem Präsentierteller, den Blick panisch auf den Schläger gerichtet. Was, wenn er mich sieht?, wiederholte er in seinem Kopf ohne Unterlass. Doch der Schläger sah nicht zu ihm herüber. Noch nicht. Wie ein cooler Killer, der sein Opfer noch ein wenig leiden sehen wollte, zündete er sich eine Zigarette an und winkte der Frau mit dem Mickymaus-T-Shirt. Es war eine Frage von Sekunden, bis er sein Gesicht ein kleines bisschen nach rechts drehen und Lovis entdecken würde.
    Lovis fuhr herum, als sich hinter ihm die Tür öffnete und eine alte Frau heraustrat. Sie sah ihn überrascht, aber nicht unfreundlich an, öffnete den Mund, wollte vielleicht Guten Tag sagen oder fragen, wen er suchte. Aber Lovis klemmte blitzschnell seinen Fuß in die zufallende Haustür und zwängte sich an ihr vorbei nach drinnen, bevor sie auch nur ein Wort sagen konnte.
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    Auf dem Rückweg zur Roten Burg stand Jennys Entscheidung fest. Sie musste die Mädchen-WG sausen lassen. Ohne Rintintin gab es für sie keinen Zufluchtsort. Kein Zimmer für sich allein, kein gedeckter Frühstückstisch, kein Lachen über Jules trockene Witze, keine Gespräche mit Jülide. Keine Pause von der Roten Burg, den Schlägern und Jasmin. Ihr war zum Heulen, aber sie tat es nicht. Es half nichts, es brachte nichts. Verzweiflung musste man sich leisten können.
    Vor der Roten Burg sammelte sie Joe-Joe ein, der mal wieder in den Hinterlassenschaften der Tartaren herumtollte. Zu Hause sah sie sofort, dass ein Paket angekommen war. Ein aufgerissener Karton lag am Boden des Wohnzimmers, daneben stand eine merkwürdige Plastikschüssel mit Noppen auf dem Boden. Jasmin hockte auf dem Sofa und war in eine Gebrauchsanweisung vertieft.
    Â»Was ist das?«, wollte Jenny wissen.
    Â»Eine Fußbrause. Sie steigert das allgemeine Wohlbefinden. Hier lies mal, was die alles kann! Fußzonenreflexmassage, Sprudelbäder gegen müde Beine, automatische Hornhautentfernung und so weiter«, zählte Jasmin auf. »Weißt du, ich habe gedacht, dass mir das bestimmt guttut, dass es mir dann insgesamt besser geht. Die Leute im Fernsehen …«
    Â»Was hast du dafür bezahlt?«, unterbrach sie Jenny.
    Â»Das war ein Sonderangebot. Anstelle von 189,90 € nur 99,99 €, ein echtes Schnäppchen. Und wenn es mir hilft, dann ist das doch gut angelegtes Geld.«
    Hundert Euro, so viel Geld hatte Jasmin für den Rest des Monats überhaupt nicht mehr, rechnete Jenny hoch. Und die Bank gab ihr keinerlei Kredit. Sie bekam Pakete nur noch per Nachnahme, musste also bei Erhalt sofort zahlen. Woher hatte sie das Geld? Hatte sie mal wieder Oma Hilde angepumpt? Oder …
    Jenny dachte den Satz nicht zu Ende. Wie von einer Hornisse gestochen sauste sie in ihr Zimmer, stolperte über Joe-Joe, der mit seinen Fußballbildchen auf dem Boden hockte. Sie ignorierte sein

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