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8 Tage im Juni

8 Tage im Juni

Titel: 8 Tage im Juni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Glaser
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löste sich das wohlige Gefühl von jetzt auf gleich in Nichts auf. Stattdessen spürte Lovis überall Schmerzen. Seine Haut spannte und brannte, die Muskeln stachen und zwickten, der Bauch war eine Sickergrube, all die Wunden und Narben des Überfalls meldeten sich gleichzeitig zurück. So als wollten sie sagen: Glaub bloß nicht, dass du uns so schnell loswirst! Glaub bloß nicht, dass jetzt alle Schrecken vorbei sind! Glaub bloß nicht, dass du jetzt wieder so gutgläubig durchs Leben gehen kannst wie vor dem Überfall am Friesenplatz!
    Haltestelle Slabystraße, ein panischer Blick zur Tür, zu den Wartenden am Bahnsteig. Nein, es war unmöglich. Selbst wenn sie am Wiener Platz in ein Taxi gesprungen wären, hätten die drei Schläger nicht schneller als die Bahn hier ankommen können. Was, wenn sie wussten, wo Jenny ausstieg? Wenn sie dort wie in der Geschichte mit dem Hasen und dem Igel auf sie warten würden?, fragte er sich, und sein Misstrauen Jenny gegenüber kehrte zurück.
    Ãœbernächste Haltestelle Reichenspergerplatz, dort würde er aussteigen und nach Hause gehen. Er musste nachdenken, eine Schmerztablette nehmen, sich den Schweiß und die Angst von der Haut duschen.
    Musste er das wirklich? War das nicht die Reaktion eines Feiglings? Hey, jetzt lagen die Karten auf dem Tisch. Jenny wusste nun, dass er wusste, dass sie die Schläger kannte. Sie hatte ihn vor den dreien gewarnt, sie hatte ihn in die Bahn gezogen, sie war nicht davongelaufen, sie saß ihm immer noch gegenüber. Sie würde mit ihm reden, ihm die Wahrheit sagen.
    Â»Wo willst du ei-ei-eigentlich hin?«, fragte er.
    Â»Puuuh, da bin ich aber froh, dass du nach dem Schreck die Sprache nicht wieder verloren hast«, sprudelte es aus ihr heraus. »Mir ist vielleicht das Herz in die Hose gerutscht, als ich die drei auf den Bahnsteig kommen sah! Und du! Du warst blind wie ein Maulwurf! Hast mich nicht gesehen und die drei auch nicht! Was wolltest du eigentlich Samstagmorgen in Mülheim? Ist doch gar nicht deine Gegend. – Egal, mein Herz jedenfalls hat in einer Lautstärke gebummert, dass es mir in den Ohren gedröhnt hat. Und du hast vielleicht ein Tempo hingelegt. Von null auf hundert, Mannomann, olympiareif war das! Und dass dann die Tür direkt zugegangen ist! Das war wirklich Rettung in letzter Minute. Will mir gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn es Toni oder der Psychopath noch geschafft hätten!«
    Sie lachte erleichtert, immer noch ein bisschen überdreht.
    Â»Ach übrigens«, ergänzte sie dann. »Ich fahre an die Sieg. Am Hauptbahnhof muss ich in die S-Bahn umsteigen.«
    Â»Warum willst du a-a-an die Sieg?«
    Â»Ich muss nachdenken. Ehrlich gesagt, ich stecke ziemlich in der Klemme.«
    Das tue ich auch, bei mir klemmt es eigentlich überall. Mein ganzes Leben ist durch den Überfall aus den Fugen geraten. Das Stottern macht mich zum Gespött. Ich habe Angst, wenn ich an einer Bahnstation warte. Ich weiß nicht mehr, wer Freund oder Feind ist. Ich misstraue jedem, sogar dir, nachdem ich dich zusammen mit dem Schläger gesehen habe. Und das tut so weh, wo ich mich doch in dich verliebt habe … All das ging Lovis durch den Kopf, aber er traute sich nicht, es auszusprechen. Stattdessen sagte er: »Vera. Das Mädchen, das du bei mir gesehen hast. I-ich habe nichts mit i-ihr.«
    Ein merkwürdiger, für ihn nicht zu deutender Blick von Jenny, dann setzte sie den Rucksack auf und machte Rintintin ein Zeichen.
    Â»Hauptbahnhof! Hier müssen wir raus!«
    Sie sagt »wir«, nicht »ich«, dachte Lovis. So als würden wir diese Reise gemeinsam machen, als würde ich mit an die Sieg kommen. Oder meinte sie mit »wir« etwa Rintintin und sie? Egal. Er würde jetzt nicht locker lassen. Er musste wissen, was Jenny mit den Schlägern zu schaffen hatte, ob sie deshalb in der Klemme saß. Und vor allem: ob sie ihm im Schwimmbad etwas vorgespielt hatte oder auch in ihn verliebt war … Wenn er deshalb mit ihr an die Sieg fahren musste, warum nicht?
    Hauptbahnhof, die Bahn hielt an. Beim Aussteigen spürte Lovis jeden einzelnen Knochen und seine Muskeln schmerzten bestialisch. Langsam wie ein alter Mann stieg er aus, Jenny und Rintintin warteten auf ihn und passten sich seinem Zeitlupengang an. Die Gänge im Hauptbahnhof waren voll wie immer. Reisende, Flaneure, Taschendiebe,

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