8 Tage im Juni
Gitarre auf dem Rücken ausstieg.
Lovis.
Hinsehen? Weggucken? Rufen? Sich verstecken? Jenny wusste nicht, was sie tun sollte. Die Bahn fuhr an, die übrigen Türkenmuttis sortierten ihre Plastiktüten neu, Leute stellen sich auf die Rolltreppe nach oben, der alte Mann nahm die nächste Stufe in Angriff. Lovis studierte den Fahrplanaushang, er hatte sie noch nicht bemerkt, die Anzeigentafel kündigte ihre Bahn mit »sofort« an. Lovis sah auf, bemerkte sie immer noch nicht und schlenderte langsam Richtung Rolltreppe. Jenny wandte den Blick zur Treppe, der Alte mit dem weiÃen Anzug hatte immer noch fünf Stufen vor sich. Da sah sie, dass hinter dem Alten Toni und die zwei Schläger auftauchten. Eine grauenvolle Fata Morgana, ein Angstbild, nichts Wirkliches, nichts was wirklich sein konnte. Doch! Der kalte Blick des Psychopathen war direkt auf sie gerichtet, der ausgestreckte Arm von Toni deutete auf Lovis. Die einfahrende Bahn, quietschende Bremsgeräusche, sich öffnende Türen, Gedrängel von hinten, drei schwergewichtige Afrikanerinnen, zwei Einkaufsroller, Schieberei und Rempelei, Rintintin ganz nah bei ihr. Jenny quetschte sich an allen vorbei in die Bahn, hielt sich an der Haltestange am Eingang fest, lieà sich nicht weiter in die Bahn hineindrängen und hielt Ausschau nach Lovis.
Lovis!
Blind für die Gefahr hatte er weder sie noch die drei Schläger entdeckt. Das Signal zum TüreschlieÃen ertönte, die drei Schläger begannen zu laufen.
»Lovis!«, schrie Jenny, klemmte einen Fuà in die Tür und fuchtelte wie wild mit den Händen. »Lovis, beeil dich!«
Lovis drehte den Kopf, suchte sie, fand sie, sie deutete zur Treppe, Rolltreppe, er begann zu laufen. Hartnäckig piepste das Türsignal wieder, immer zwei Stufen auf einmal nehmend legte der Psychopath das schnellste Tempo der drei vor. Von der anderen Seite schnellte Lovis mit aberwitzigem Speed auf Jenny zu, auf der Treppe wurde der Psychopath von den Afrikanerinnen ausgebremst, dafür hatte Toni jetzt den Bahnsteig erreicht. Lovis sprang über Einkaufstüten, rempelte mit seiner Gitarre Leute an, vielleicht noch vier Meter. Die Tür klemmte Jennys Fuà bei einem erneuten SchlieÃversuch ein, wildes Piepen.
»Mach endlich die Tür frei!«
Ein Mann hinter Jenny griff nach ihrem Arm, wollte sie wegzerren, aber Jenny umklammerte die Haltestange mit der einen Hand, hielt den Fuà in der Lichtschranke und streckte den anderen Arm nach drauÃen.
»Lovis, schnell!«, schrie sie wieder.
Sein rotes Gesicht schon ganz nah, das von Toni fast gleich weit entfernt, direkt hinter ihm der Psychopath, unerträglich das Piepsen der Tür, das Zerren von hinten. Da endlich, sie spürte Lovisâ Finger, umklammerte sie fest, so fest, nein fester als auf dem Friesenplatz, nicht loslassen, reinziehen, das Türpiepsen jetzt hektisch, dann Stille, die Tür geschlossen, Tonis Fäuste wütend trommelnd auf dem Waggonfenster, die Finger des Psychopathen erst über seinen Hals fahrend, dann auf sie deutend. Von wegen Halsabschneiden! Sie waren in Sicherheit. Die Bahn fuhr an.
Sein Atem auÃer Kontrolle, sein Herzschlag überdreht, sein ganzer Körper zwischen Explodieren und Zusammenbrechen. Schwindel und Ãbelkeit, Hitze und Kälte, Lärm und Stille, puterrot und totenblass, Lachen und Weinen, alles auf einmal.
»Setz dich, Lovis!«
Jennys Stimme. Plastik unter dem Hintern, die Gitarre im Rücken, zitternde Beine, taube Finger, Angst umzukippen. Augen schlieÃen, Achterbahn fahren, gleich kotzen müssen.
»Trink einen Schluck!«
Eine Wasserflasche, verkrampftes Schlucken, den Magen beruhigen. Augen öffnen, Jennys besorgter Blick. Das Ruckeln der Bahn, der Fluss unter der Brücke. Hand aufs Herz, den Atem zwingen. Er musste ruhiger werden, verdammt!
»Das war knapp!«
Ungläubige Erleichterung in ihrer Stimme, Rintintins Schnauze auf seinem Knie. Dann das Déjà -vu. Wieder ein Bahnsteig, wieder die drei Schläger, wieder hatte sich die Angst an ihm festgekrallt. Aber diesmal war er gelaufen, davongerannt, geflogen, diesmal hatten sie ihn nicht erwischt. Er spürte, wie die Endorphine in seinem Körper die Sektkorken knallen lieÃen. Ein wohliges Gefühl des Triumphes machte sich breit, lieà ihn auflachen, aufspringen und sofort wieder auf den Sitz zurücksinken. Als wäre es nur ein Spuk gewesen,
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