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8 Tage im Juni

8 Tage im Juni

Titel: 8 Tage im Juni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Glaser
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strapazierten Knochen durch, probierte ein paar Schritte. Schon viel besser als vorhin auf dem Hauptbahnhof, stellte Jenny fest. Der Rentnertrupp wollte ebenfalls hier aussteigen. Lovis und sie stellten sich hinter den Pulk in Beige und warteten, bis alle draußen waren.
    Â»Zehn, fünfzehn Minuten brauchen wir bis zum Campingplatz, je nachdem, wie schnell du gehen kannst«, erklärte sie ihm, als sie endlich auf dem Bahnsteig standen. »Ich hoffe sehr, dass Karl beim Angeln ist oder bei seinen Kumpels hockt. Den kann ich nämlich gar nicht leiden. Weißt du, das ist der Freund von Oma Hilde. Ich weiß wirklich nicht, wie …
    Â»Jenny!« Lovis drehte sich zu ihr um und sah ihr fest in die Augen. »Du musst mir von den Schlägern e-e-erzählen.«
    Wieso machte er alles kaputt? Wieso musste er ausgerechnet jetzt, wo sie sich Angst und Schrecken mit netten Geschichten fortgeplaudert hatte, wieder mit diesem Horror anfangen?
    Â»Ich muss gar nichts!«, patzte sie zurück.
    Sie ist wie eine Katze, schoss es Lovis durch den Kopf. Kommt man ihr näher, fährt sie die Krallen aus. Mit einem Mal kam sie ihm fremd vor, wie sie da vor ihm stand mit diesem wütenden Lass-mich-in-Ruhe-Blick. »Ich muss gar nichts!« Was war das denn für eine Antwort? Und wie zickig sie das gesagt hatte, wie feindselig! Kapierte sie überhaupt nicht, wie wichtig das für ihn war? Nur mit ihrer Hilfe konnte er die Schläger drankriegen. Wie konnte sie nur so egoistisch sein?
    Wütend trat er gegen den rotblauen Fahrkartenautomaten neben dem Briefkasten auf dem Bahnsteig. Einer der Rentner – die Gruppe hatte sich vor den Fahrradständern versammelt – schaute verärgert zu ihm herüber. Zwei andere besprachen sich leise, den Blick immer auf ihn gerichtet. Lovis wettete darauf, dass sich einer der beiden gleich zu einem selbsternannten Sheriff aufplustern und zu einer Strafpredigt ansetzen würde.
    Â»Lass uns gehen«, sagte Jenny und ihre Stimme klang schon wieder weicher und milder.
    Ein letzter Blick auf den Fahrplan neben dem Fahrkartenautomaten, jetzt wusste er zumindest, dass die Bahnen im Stundentakt zurückfuhren, immer um fünf nach. Dann folgte er Jenny langsam und mit deutlichem Abstand. Die Straße führte durch ein Dörfchen mit Fachwerkhäusern, Blumenkübeln unter den Straßenlaternen und einer großen Kirche. Ein Eiscafé mit Tischchen auf der Straße, der übliche Döner-Imbiss. Jenny sah sich gelegentlich nach ihm um und wartete immer wieder auf ihn. Sie erzählte irgendwas Belangloses über den Ort, den Campingplatz, den Bauernhof. Nicht eine Silbe, mit der sie auf sein Anliegen zu sprechen kam.
    Â»Ich muss gar nichts!« Was bildete sie sich eigentlich ein? Glaubte sie wirklich, sie könnte ihn mit dieser vernebelnden Plauderei einlullen? Glaubte sie wirklich, er würde das Thema fallen lassen, nur weil sie nicht darüber sprechen wollte?
    Â»Wer es sich leisten kann!« Noch so eine patzige Antwort. War das Neid gewesen in ihrer Stimme? Sollte sie ihn tatsächlich um diese bescheuerten All-inclusive-Urlaube beneiden, wo er so gerne zumindest einmal hatte zelten wollen? Sie sollte froh sein, dass ihre Mutter das Geld für einen solchen Schwachsinn nicht hatte. Wenn er nur an die Themenabende in diesen Ferienanlagen dachte! Der Abend in Schwarzweiß. Der Orientabend. Der Westernabend. Und wenn dann alle so aufgesetzt lustig sangen: »Da hat das rote Pferd …«, klatsch, klatsch, klatsch, »sich einfach umgedreht.« Ganz furchtbar, einfach nur furchtbar! Und dafür blätterte Gustav Jahr für Jahr eine Menge Kohle hin. Okay, um Geld musste er sich wirklich keine Gedanken machen. Das war vielleicht anders bei Jenny. Aber um Geld ging es doch nicht. Es ging um Vertrauen. Um Aufrichtigkeit.
    An einer dicht befahrenen Straße wartete Jenny wieder auf ihn. Dicke Lastwagen sausten an ihnen vorbei, wirbelten Staub auf, ließen den Gestank von Diesel zurück.
    Â»Schnell jetzt!«, befahl Jenny, als die Straße kurz frei war.
    Lovis folgte ihr auf die andere Seite. Sogar rennen konnte er wieder, stellte er überrascht und freudig fest. Sein Körper war zäh und widerstandsfähig. Der kam mit ein bisschen Training schnell wieder ins Lot, der würde die Schläge am Friesenplatz irgendwann komplett vergessen. Aber der Rest …
    Jenny führte ihn einen schmalen

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