8 Tage im Juni
mit Tieren besser konnte als mit Menschen, eine Mutter, die mit Marmelade merkwürdige Zeichen auf den Küchentisch malte, eine Mutter, die schon Angst hatte, vor die Tür zu gehen, das war keine zum Vorzeigen, zum Angeben, und schon gar keine zum Anlehnen. Das war eine, die man vor der Welt beschützen musste.
Ãberhaupt! Sie hatte Lovis vorhin schon viel zu viel erzählt, sogar die peinliche Geschichte mit Tonis Geld! Und sie konnte nicht sagen, ob es gut oder schlecht war, dass Lovis es nun wusste. Aber sie hatte ihn nicht anlügen können. Dabei war das normalerweise eine ihrer leichtesten Ãbungen. Man musste lügen können, um in der Schule, in der Roten Burg und mit einer Mutter wie Jasmin zu überleben. Eben bei Lovis hatte sie es nicht gekonnt. Warum? Glaubte sie, ihm in diesem Punkt die Wahrheit schuldig zu sein? Vertraute sie ihm etwa? Ja, vielleicht. Trotzdem! Ãber Jasmin würde sie nichts ausplaudern. Es gab Familiengeheimnisse, die geschützt werden mussten.
»Das ist eine lange Geschichte«, antwortete sie deshalb ausweichend und zeigte zu der Badestelle am Fluss hinüber, wo sich Jung und Alt im Wasser tummelten und lustvolles Kindergeschrei die Luft füllte. »Hast du nicht gesagt, wir sollen eine Auszeit von den Problemen nehmen?«
Er sah sie anders an als vorhin, als sie gespürt hatte, dass sie ihm antworten musste. Ich interessiere mich halt für dich, ich möchte alles über dich wissen, las sie in seinem Blick. Aber das musste nicht sofort sein.
»Na, worauf wartest du?«, sagte er dann und nahm ihre Hand.
Gemeinsam rannten sie zum Ufer und lieÃen sich nicht los, als sie sich zwischen den im dreckigen Ufermatsch plantschenden Kindern durchschlängelten, um ins tiefere Wasser zu gelangen. Sie tauchten unter, lieÃen sich ein Stück mit der Strömung treiben, hatten Mühe mit dem Zurückschwimmen, fanden schlieÃlich aber doch eine Stelle, in der das Wasser ruhte. Jenny drehte sich auf den Rücken, schloss die Augen, spürte die Sonne auf der Haut und bald Lovisâ Mund auf dem ihren. Gott, war das schön! Wenn man nur die Zeit anhalten könnte, nur einmal die Zeit anhalten könnte! Sie würde es jetzt tun. Sie konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als den Jungen, in den sie bis über beide Ohren verliebt war, in dem Fluss zu küssen, der ihr der liebste auf der Welt war. Den Geruch von Wasser und reifem Getreide in der Nase, über sich der weite blaue Himmel und eine schnurrende Sonne, die bestimmt hoch zufrieden mit dem war, was sie da unten auf der Erde gerade sah.
Ãbermütig vor Glück tauchte sie Lovis unter, prustend spritzte er neben ihr auf, tauchte wiederum sie unter, folgte ihr unter Wasser. Ihre Hände machten sich selbstständig und erkundeten im weichen Nass den Körper des anderen. Wie zart Lovisâ Haare waren, wie hart seine Brustwarzen, wie lang seine Beine! Was hatte er für schöne Ohren! Wieder an der Luft küssten sie sich und konnten überhaupt nicht mehr aufhören, sich zu küssen. Was für eine Palette von Küssen es gab! Gierige, harte, kleine, lange, spitze, runde, klebende, nagende, schmatzende, überwältigende Küsse. Die pure Wonne.
Das kleine rote Zelt. Wieso sollten sie nicht hier übernachten? Nebeneinander liegen, sich in den Armen halten, sich küssen, bis die Haut schmerzte. Ob Lovis Kondome mithatte? Sie nahm nicht die Pille, hatte sich damals nicht mal eine Probepackung schenken lassen, als eine Frauenärztin den Mädchen in ihrer Klasse etwas über Verhütung erzählte. Warum auch? Ãber Jahre geimpft mit Jasmins miesen Männererfahrungen hatte sie sich, was die Liebe betraf, für immun gehalten. Bis Lovis in ihrem Leben auftauchte!
Das kleine rote Zelt. Da klingelte ein Alarmglöckchen irgendwo im riesigen Reich ihrer Erinnerungen. Jenny ignorierte es. Das kleine rote Zelt. Darin würde sie ihre erste Liebesnacht mit Lovis verbringen.
»Jetzt habe ich einen Bärenhunger!«, rief Jenny aus, als sie frierend und mit völlig verschrumpelter Haut endlich aus dem Wasser stiegen.
Hungrig war Lovis auch, dennoch hatte er den Fluss überhaupt nicht verlassen wollen. Vielleicht hätten sie beide sich darin irgendwann aufgelöst, wären miteinander verschmolzen, auf ewig verbunden, eins geworden im Kreislauf des Wassers. Gott, was dachte er plötzlich für einen romantischen
Weitere Kostenlose Bücher