8 Tage im Juni
Lovis.
»Klar!«, unterbrach sie ihn mit eisiger Stimme. »Hätte ich mich bezahlen lassen sollen dafür, dass ich deinen Arsch gerettet habe? Hundert Euro für Lovis?«
Verdammt! So hatte er es doch nicht gemeint. Eigentlich hatte er doch nur sagen wollen, dass sie alles, alles von ihm kriegen konnte. Dass er ihr helfen wollte, ihr beistehen wollte. All diese Dinge, die man für Menschen tut, die man liebt.
»Und, Lovis. Die Nummer mit Toni ist nur eines von meinen Problemen« machte Jenny weiter, zum Glück wieder ohne Eis in der Stimme. »Ich habe mehr davon, als du wissen willst. Was glaubst du, warum ich mich heute Morgen wie ein Dieb aus der Roten Burg geschlichen habe und hier rausgefahren bin? Ich muss nachdenken, damit ich wenigstens ein paar von den Problemen auf die Reihe kriege.«
»HeiÃt das, du willst lieber a-a-allein sein?«, fragte er vorsichtig.
»Wollt ich eigentlich! Aber du bist ja schon wieder in mein Leben geplatzt.«
»Vielleicht gar nicht so schlecht, dass i-i-ich hier bin?«
Endlich, endlich tauchte wieder ein kleines Lächeln in ihrem Gesicht auf, und sofort ging es auch ihm besser. Da waren wieder die Sonne und der Fluss und sogar dieser typische Sommergeruch aus Grillkohle und Sonnencreme, den ihm ein leichter Wind von irgendwoher in die Nase wehte.
»Hast du nicht gesagt, dass man hier toll schwimmen kann?«, machte er weiter. »Schwimmen soll nicht schlecht sein, wenn man sich âne kleine Au-Auszeit nimmt bei schweren Problemen. Na, was denkst du?«
Die Schranke zum Campingplatz, rotweià schraffiert, frisch gestrichen â wie jedes Jahr zur Hauptsaison. Dahinter das Anmeldehäuschen und die Baracke mit den Sanitäranlagen. Erinnerungen an unzählige Besuche purzelten in Jennys Gedächtnis durcheinander. Wann war sie zum letzten Mal hier gewesen? Nach einigem Nachdenken fiel es ihr ein. In den Herbstferien letztes Jahr an einem Wochenende, an dem es Jasmin gutgegangen war. Ein hochsommerlicher Tag, für Anfang Oktober sensationell. Sie waren mit guter Laune angereist, Oma Hilde hatte sich gefreut, nur Karl war mürrisch wie immer gewesen, aber sie hatten sich von ihm die gute Stimmung nicht vermiesen lassen. Diese verrückte, kindliche Ferienfreude, die jedes Mal wiederkehrte, wenn sie hierherkam, blitzte auch jetzt auf. Probleme hin oder her.
Alles sah aus wie immer. Vorne, direkt an der Sieg, die Plätze für die Zelte, drei Iglus zählte sie und ein groÃes silbernes, das ein bisschen wie aus einem Science-Fiction-Film aussah. Dahinter, ein paar Meter höher gelegen, geschützt vor den regelmäÃigen Hochwassern des Flusses, die Plätze für die Dauercamper. Oma Hildes Schwalbe stand direkt in der ersten Reihe. Von ihrem Vorplatz aus ging, über die Zelte hinweg, der Blick auf die Sieg. »Panoramablick«, sagte Oma Hilde jedes Mal nicht ohne Stolz.
Jenny sah Hildchen schon von Weitem. Sie trug ihren blauweià gestreiften Badeanzug und hängte Handtücher auf die Wäscheleine, die vom Vordach der Schwalbe bis zum Gartenzaun gespannt war. Ihr gewaltiger Busen eingequetscht in das Trikot, die mit Krampfadern durchzogenen schweren Beine in Badelatschen, lederne Haut, wie sie nur Leute kriegen konnten, die viel in der Sonne waren.
»Oma!«, rief Jenny, winkte wild und begann zu laufen.
Oma Hilde lieà die Handtücher Handtücher sein und kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. Sie lief noch ein bisschen o-beiniger und langsamer als beim letzten Mal.
»Jenny«, rief sie. »Jenny, meine Kleine!«
Und dann lagen sie sich in den Armen und Jenny versank in einer Wolke des vertrauten Oma-Duftes aus Kölnisch-Wasser und Sonnenöl.
»Hat dich das schöne Wetter an die Sieg getrieben?«
Oma lachte und freute sich sie zu sehen. Aber das Lachen verschwand schnell aus ihrem Gesicht, stattdessen traten zwei tiefe Sorgenfalten hervor, die sich vom oberen Wangenknochen bis unter die Mundwinkel zogen und ihr Gesicht noch faltiger machten.
»Oder ist was mit Jasmin?«, flüsterte sie. »Versinkt sie wieder im Reich der Finsternis?«
Ja, tat sie. Aber noch wollte Jenny nicht mit Oma Hilde darüber sprechen. Wenigstens für ein paar Stunden wollte sie sich all ihre Probleme vom Hals halten. Sie sah sich nach Lovis um. Der hatte die freudige BegrüÃung aus höflicher Entfernung abgewartet. Gute Blumentaler Schule, Benimm-Regeln
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