80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)
in günstigere Viertel gezogen und von gut situierten Bürgern abgelöst worden, die das Gemeinschaftsgefühl, die kleinen Läden und Cafés und die Parks in der Umgebung schätzten. Das erklärte auch meine hohe Miete für mein winziges Zimmer. Ein bisschen von dem einstigen Zauber lag aber noch immer in der Luft, und ich hoffte, dass sich von der Energie all der Musiker, die vor mir auf diesen Stühlen gesessen hatten, auch etwas auf mich übertrug.
Das Lokal servierte auch gutes Essen und perfekt gewürzte Bloody Marys. Das bestellte ich mir jetzt. Mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt, allein mit Alkohol zu feiern, während Dominik einen Espresso oder eine Pepsi trank.
Vielleicht hatte mich der Alkohol kühn gemacht, denn gewöhnlich zeigte ich nicht so leicht, wie es um mich stand, besonders wenn mir ein Liebhaber gegenübersaß. Doch mit jeder Minute, die verstrich, rückte der Abschied näher, und die über das Zifferblatt eilenden Zeiger der Uhr an der Wand ließen mich alle Vorsicht vergessen.
»Du wirst mir fehlen, Dominik.«
Er legte die Gabel nieder und sah mich an. »Du mir auch.«
Ich versuchte, mich zu konzentrieren. »Danke, dass du gekommen bist. Es bedeutet mir viel, dass du hier bist, auch wenn es nur eine Stippvisite war. Ich komme schon klar, aber ich kann jetzt nicht aus New York weg. Meine Musik … Ich hatte einige Anlaufschwierigkeiten, doch jetzt funktioniert es prima mit dem Orchester.«
»Freut mich zu hören. Du sollst auch gar nicht fortgehen. Bleib hier und mach das Beste draus. Ich kann jetzt auch nicht aus London weg. Ich habe zwar ein paar freie Projekte, aber mein Vertrag mit der Hochschule läuft noch mindestens bis zum Semesterende.«
Ich nickte.
»Und es ist doch gar nicht so weit«, meinte er versonnen. »Schlimmstenfalls ein Flug von sieben Stunden. Es gibt die Wochenenden, bald ist das Semester zu Ende, und außerdem, um ehrlich zu sein …«
»… kann ich mir nicht vorstellen, dass es mit uns besonders gut klappt, wenn wir uns ständig sehen«, beendete ich den Satz für ihn.
»Nein. Es gibt eine Menge Dinge, über die wir noch nicht gesprochen haben. Ich weiß, dass du deine Nächte in New York nicht immer allein verbracht hast, und ich in London ebenso wenig. Ich finde nicht, dass wir das ändern sollten. Wir haben …«
»… schließlich keine Beziehung?«
Er lachte. »Nein, von Beziehung will ich gar nicht reden. Meiner Meinung nach ist das Ganze nicht so einfach.«
»Aber ich empfinde mit keinem Mann so etwas wie mit dir. Als würdest du mich von mir selbst befreien. Du bist der Einzige, der diese Wirkung auf mich hat.«
Ich hatte Dominik noch immer nichts von Victor erzählt. Victor, das war etwas ganz anderes. Ich hatte Victor erlaubt, mit mir gewisse Dinge anzustellen, aber ich sehnte mich nicht so sehr danach, wie ich mich nach Dominik sehnte.
Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich noch gemeint, Dominiks Gesichtsausdruck sei undurchdringlich, doch jetzt, da ich ihn besser kannte, konnte ich lesen, was seine Augen verrieten. Lust. Hitze. Einverständnis.
»Gut«, sagte er. »Das Gleiche gilt für mich. Ich mache diese Art von Sachen nämlich auch nicht mit jeder.«
Jetzt musste ich lachen. Es klang, als rechtfertige sich der Held aus einer Fernsehserie für seinen Seitensprung.
»Das meine ich ernst.« Er griff nach meiner Hand. »Ich verstehe es ja selbst nicht, aber ich weiß, was ich fühle. Du bringst mich dazu, dass ich … irgendwas mit dir anstellen will.«
»Und wenn ich dich sehe, dann möchte ich, dass du etwas mit mir anstellst.«
»Fein«, sagte er lächelnd. »Darin zumindest sind wir uns einig.«
»Dann ist es also abgemacht?«
»Dass nichts abgemacht ist?«
»Ja.«
»Ich komme wieder. Dann höre ich mir das Orchester an und genieße, was New York zu bieten hat. Ehrlich, alles, was du mir vorschlägst. Aber in der Zwischenzeit musst du mir von deinen Erlebnissen berichten. Wie wir es abgesprochen haben.«
Er bestellte noch einen Espresso und ich eine weitere Bloody Mary. Ich hatte keineswegs vor, mich in seinem Beisein zu betrinken, doch die scharfen Gewürze und der Wodka milderten den brennenden Schmerz, der mich immer stärker erfasste, je näher der Abschied rückte.
Wir verbrachten den Rest des Nachmittags im Caffè Vivaldi, tranken Kaffee, plauderten, lachten und lauschten dem Pianisten, der im Hintergrund Billy Joel spielte. Dominik hatte im Hotel bereits ausgecheckt und seine Reisetasche dabei. Er reiste stets mit
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