80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)
bemerkte gar nicht, dass die Zeit verging, während er all das erledigte, was seinen banalen Alltag ausmachte.
Sein Kontakt zu Summer war spärlich. Beide mochten keine langen Telefongespräche, sodass sie sich zumeist auf E-Mails und SMS beschränkten. Irgendwie unpersönlich, fast wie in einer Geschäftsbeziehung.
Es war ein grausames Spiel. Wenn sie sich nach seiner Zärtlichkeit sehnte, war er unnahbar oder fordernd. Wenn sie auf klare Ansagen hoffte, blieb er vage. Dominik hielt sie auf Distanz. Er wollte derjenige sein, der den Ton angab. Der Herrscher. Eine Rolle, in die er langsam hineinwuchs.
Einige Tage später kam Dominik, völlig in Gedanken versunken, aus der Uni und wollte zur U-Bahn, als jemand seinen Namen rief.
»Dominik?«
Es war Lauralynn, die blonde Cellistin, die er vor einigen Monaten angeheuert hatte, um mit Summer in der Krypta zu spielen. Er hatte sie seit ihrem kurzen Telefonat nach seiner Ankunft in New York völlig vergessen.
Sie hatte offenbar das Ende seiner Vorlesung abgepasst. In einem schwarzen Bleistiftrock mit eng geschnalltem Gürtel, der ihre üppigen Kurven betonte, in turmhohen High Heels und einer weißen Bluse, durch die sich ihr roter BH geradezu aggressiv abzeichnete, stand sie vor dem grauen Gebäude auf der Straße. Eine kalkuliert sündhafte Erscheinung durch und durch. Ihre blonden Locken fielen ihr auf die Schultern und verdeckten ihr im Stil von Jessica aus Roger Rabbit ein Auge.
Dominik, in Gedanken schon mit einem Artikel beschäftigt, den er in Angriff nehmen wollte, sobald er zu Hause am Schreibtisch saß, war alles andere als begeistert.
»Wieder zurück aus New York, wie ich sehe«, begrüßte ihn Lauralynn.
»Ja«, antwortete er kurz angebunden.
»Sie haben einfach aufgelegt, als wir das letzte Mal telefoniert haben. Das war nicht nett.«
In ihren Augen lag ein lüsternes Glitzern. Er beschloss, es darauf ankommen zu lassen.
»Und haben Sie sie dann in New York getroffen?«
»Wen?«
»Unsere kleine Freundin, die Geigerin, natürlich«, antwortete Lauralynn. »Sie ist doch noch Ihr Betthäschen, oder?«
»So würde ich das nicht ausdrücken«, antwortete Dominik pikiert.
»Dann würde ich liebend gern wissen, wie Sie es ausdrücken würden«, antwortete Lauralynn.
Dominik war drauf und dran, sie einfach stehen zu lassen. Ihre plumpe Vertraulichkeit und ihr süffisanter Ton nervten ihn. Was ging sie sein Verhältnis zu Summer an? Da fiel ihm ihr merkwürdiges Interesse an seiner inszenierten Aufführung in der Krypta ein und dass sie eine Bekannte von Victor war, der dabei insgeheim seine Finger im Spiel gehabt hatte. In New York hatte er Summer nicht auf Victor angesprochen, obwohl er das unbestimmte Gefühl gehabt hatte, dass irgendetwas zwischen den beiden lief oder gewesen war. Es konnte kein reiner Zufall sein, dass Victor sich zur selben Zeit in New York aufhielt. Der Mann war hinterhältig und verschlagen. Aber Summer würde doch auf so jemanden nicht hereinfallen?
Dominik riss sich zusammen und fragte: »Was wollen Sie eigentlich?«
»Nur ein wenig plaudern, sonst nichts.« Sie lächelte spitzbübisch. »Keine Sorge, ich stehe nicht auf Männer.«
Dominik willigte schließlich ein, mit ihr in ein nahe gelegenes Weinlokal zu gehen, wo man sich um diese Tageszeit im Obergeschoss ungestört und unbelauscht unterhalten konnte.
»Also, worum geht es, Lauralynn?«
»Mir hat die Sache in der Krypta gefallen. Sie haben Stil.«
»Sie haben alles gesehen?«
»Nicht alles. Aber die Augenbinde saß ziemlich locker.«
»Verstehe.«
»Ich kenne Victor. Er hatte so eine Vorahnung, was Sie für Pläne mit Summer haben, und hat es arrangiert, dass ich und die beiden anderen Musiker aus meinem Quartett uns für die Aufführung melden.«
»Es wussten also alle Bescheid?«
»Nein. Nur ich und Victor … Ich sollte ihm hinterher genau berichten«, gestand Lauralynn und verzog die Mundwinkel.
»Dieser Schuft!«, rief Dominik.
»Nun mal langsam«, beschwichtigte ihn Lauralynn. »Er ist eben ein Spieler. Genau wie du. Und ich.«
»Jetzt soll ich mich wohl geschmeichelt fühlen, dass Sie mich zu Ihren Kreisen zählen?«
Lauralynn nahm einen Schluck von ihrem Beaujolais. Der Wein glänzte feucht auf ihren vollen Lippen.
»Oh, aber natürlich gehörst du dazu, Dominik – du bist einer von uns. Mehr, als du vielleicht denkst. Bei manchen ist es eine ganz natürliche Entwicklung, bei anderen hilft der Zufall nach. Manchmal merkt man es erst gar nicht.
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