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80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)

80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)

Titel: 80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vina Jackson
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roten Toyota-Kombi, den er für weniger als den Preis eines Fahrrads gebraucht gekauft und geduldig hergerichtet hatte, bis er so gut lief, dass ein Formel-1-Fahrer hätte neidisch werden können.
    »Von null auf sechzig in fünfzehn Minuten«, verkündete er stolz, als er ihn zum ersten Mal zum Laufen gebracht hatte.
    Ich ließ mich auf den Beifahrersitz fallen, der sich angenehm vertraut anfühlte. Mein Bruder und sein Kombi waren eine so verlässliche Größe wie der Sonnenuntergang.
    Nieselregen hatte eingesetzt, und die Scheibenwischer schabten gleichmäßig übers Glas.
    In Neuseeland war Winter, aber es war vergleichsweise mild, zumindest viel wärmer als im Winter in New York. Trotz des grauen Himmels wirkte die Landschaft tropischer, als ich sie in Erinnerung hatte.
    Ich starrte aus dem Fenster auf die Palmen, die die Zufahrtsstraße zum Flughafen säumten.
    »Wow«, sagte ich. »Ich wusste gar nicht mehr, dass es hier wie auf einer Insel aussieht.«
    »Es ist eine Insel«, erwiderte Ben trocken.
    »Ich meine eine richtige Insel, wie im Pazifik.«
    »Warst du nicht auch mal in der Schule? Die Großstadt hat dich nicht gerade schlauer gemacht, Schwesterherz. Verdummung durch Luftverschmutzung, was?«
    Ich gab ihm einen Klaps auf den Oberschenkel.
    Ben war bisher nur ein einziges Mal außerhalb von Neuseeland gewesen, um ein Surf-Wochenende in Brisbane zu verbringen. Er sah keinen Grund zu reisen.
    »Willst du eine Kassette einschieben?«
    Sein Toyota hatte tatsächlich noch immer einen Kassettenrekorder, und mein Fußraum war mit Kassetten übersät. Ich sah sie durch.
    »Sade?«, spöttelte ich.
    »Sie ist gut. Besser als Beethoven.«
    Wieder schaute ich aus dem Fenster und staunte über die leeren Straßen, die Wiesen und Felder, die sich zu beiden Seiten von uns erstreckten. Als ich das letzte Mal in Auckland gewesen war, hatte ich das Gedränge der Menschenmassen und Fahrzeuge als ausgesprochen hektisch empfunden, doch jetzt wirkten selbst die geschäftigsten Viertel beschaulich auf mich.
    »Hat Mum dir erzählt, dass ich heirate?«
    »Nein! Ich wusste ja nicht mal, dass du eine Freundin hast. Wann hat sich das denn entschieden?«
    »Vor einem Monat. Sie heißt Rebecca Bex. Ihr habt euch bestimmt einiges zu erzählen, denn sie hat auch mal eine Weile in London gelebt.«
    »Wow. Gut gemacht, Bruder.«
    »Und sie ist schwanger.«
    »Verflixt! Warum sagt mir denn nie einer was?«
    »Weil du nie ans Telefon gehst!«
    »Es gibt E-Mail.«
    »Ich teile dir doch nicht per E-Mail mit, dass ich Vater werde. Außerdem wirst du sie sowieso bei deinem Konzert kennenlernen. Sie besucht zurzeit ihre Familie in Tauranga.«
    Wir schwiegen eine Weile. Inzwischen regnete es stärker, und der Verkehr floss langsamer wegen der üblichen Autoschlangen all der Leute, die in der Stadt arbeiteten und am Wochenende in ruhigere Gegenden flüchteten.
    Wann hatte ich das letzte Mal mit meiner Familie telefoniert? Ich dachte oft an sie, ebenso an meine Freunde und an Neuseeland ganz allgemein. Aber zum Telefon hatte ich das letzte Mal an Weihnachten gegriffen, also vor inzwischen sechs Monaten, und auch da hatte ich nur mit Mum und Dad gesprochen. Mit Ben demnach schon seit über einem Jahr nicht mehr.
    »Es ist so schön, dich zu sehen, großer Bruder«, sagte ich. Plötzlich wurde ich traurig und meine Stimmung so trübe wie das Wetter.
    »Geht mir genauso, Schwesterchen. Du hast uns gefehlt.«
    Den Rest der Fahrt plauderten wir über alte Freunde und Bekannte. Nichts hatte sich groß verändert, außer dass die Jüngeren unausweichlich in Richtung Ehe und Familie steuerten und die Älteren in Richtung Scheidung. Wenn ich von Paaren hörte, die bei meiner Abreise zusammen gewesen waren und es geschafft hatten, zusammenzubleiben, war ich jedes Mal aufs Neue überrascht.
    So wie meine Eltern, deren Ehe jetzt schon seit mehr als dreißig Jahren hielt. Sie hatten immer den Eindruck gemacht, dass sie sich gern mochten, aber ich hatte nie geglaubt, dass es sich bei ihnen um wahre Liebe handelte. Mein Bruder und meine Schwester vertraten eine andere Meinung und sahen in meinen Eltern das Musterbeispiel einer romantischen Liebe und den Beweis, dass zwei Menschen zusammen durch dick und dünn gehen konnten. Ich hingegen war überzeugt, sie hätten es nur deshalb hingekriegt, weil ihnen zusammenzubleiben einfacher und angenehmer erschienen war als die Alternative, sich zu trennen und dann allein zu sein. Ich war schon immer die Zynikerin in

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