80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)
gekauft hatte.
Fran war schon seit Jahren überzeugter Single, und ich hatte auch nicht läuten hören, dass sich in letzter Zeit eine Liebesbeziehung ergeben hätte. Nach Bens Ankündigung wäre ich allerdings auch nicht überrascht gewesen, wenn sie mit einem Mann und zwei Kleinkindern im Schlepptau an die Tür gekommen wäre. Meine Mutter musste Bens Heiratspläne mit großer Begeisterung begrüßt haben. Da meine Schwester und ich lautstark der Liebe abgeschworen hatten, hatte sie nämlich schon befürchtet, am Ende ohne Enkelkinder dazustehen.
»Hallo, mein Schatz«, sagte sie und schloss mich fest in die Arme. Über ihrer Jeans und einem hellrosa Pullover trug sie eine beigefarbene Schürze, die ziemlich abgewetzt und mit Essensflecken übersät war. Mir zu Ehren hatte sie sich geschminkt, allerdings nur mit etwas Mascara und einem Hauch Rouge. Ihr immer noch dichtes, langes Haar hatte sie grau werden lassen; eitel war sie noch nie gewesen. Sie war etwas fülliger geworden, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte, aber es stand ihr, ebenso wie das graue Haar. Für mich war sie immer wie ein Baum, der einfach friedlich vor sich hin wuchs, wie die Natur es vorsah. Nie hatte ich sie eine abfällige Bemerkung über sich selbst machen hören, und meines Wissens war sie auch nie auf Diät gewesen. Wahrscheinlich hatten meine Schwester und ich deshalb ein recht solides Selbstwertgefühl.
Fran war die Einzige von uns mit kurzen Haaren. Sie hatte sie sich schon als Teenager abgeschnitten und wasserstoffblond gefärbt – die größte Rebellion in unserer Familie, bis ich das Studium schmiss und nach Australien ging. Seither hatte sie sie nicht mehr wachsen lassen. Meiner Meinung nach sahen wir uns überhaupt nicht ähnlich, aber manche Leute behaupteten, wir hätten die gleichen Eigenarten. So konnten wir, selbst wenn wir mehrere Jahre getrennt gewesen waren, noch immer die Sätze der anderen beenden und Klamotten füreinander aussuchen.
Fran war wie ein Kobold, klein und gelenkig, mit spitzer Nase und breitem Lächeln. Sie fuhr Fahrrad und trug eine breitrandige Kunststoffbrille, obwohl ihr Sehvermögen erstklassig war. Jemanden wie sie hätte man eher in einem Londoner Szeneviertel wie Shoreditch vermutet, und ich hatte nie verstanden, warum sie in Te Aroha bleiben wollte. Anfangs hatte ich gemeint, sie würde hier hervorstechen wie ein Fremdkörper, aber mittlerweile lebte sie schon so lange hier, dass die Stadt sich irgendwie um sie geschmiegt hatte und Fran wie eine Seepocke am Schiffsrumpf ein Teil von ihr geworden war.
Sie umarmte mich kurz und steif. Zärtliche Gesten waren noch nie ihr Fall gewesen. Nach all dem Gerede über die Reserviertheit der kühlen Briten hatte ich überrascht registriert, dass sie viel berührungsfreudiger waren als wir neuseeländischen Pakeha, die Freunde normalerweise nur mit einem Lächeln oder einem kleinen Scherz begrüßen.
Geduldig stand mein Vater hinter den beiden Frauen und wartete. Er trug seinen Overall, den er fast nie ablegte; er war ihm so etwas wie eine zweite Haut geworden und mein Vater darin ein ebenso gewohnter Anblick wie meine Mutter in ihrer Schürze. Er hob mich hoch und hielt mich so lange umschlungen, dass ich schon glaubte, ich sollte wie ein Kind in seinen Armen einschlafen.
Die Tür öffnete sich noch einmal, und auf der Treppe erschien eine weitere Gestalt.
Mr. van der Vliet. Er war nicht so groß, wie ich ihn in Erinnerung hatte, aber noch so dünn, und nach wie vor standen ihm ein paar Haarbüschel links und rechts vom Kopf. Obwohl er inzwischen über achtzig sein musste, strahlten seine Augen so hell und klar wie einst; und sein Blick war scharf wie der einer Elster, die gerade einen Silberlöffel erspäht hat.
»Gut gemacht, Mädchen«, sagte er und tätschelte mir den Rücken, als ich ihm sacht einen Kuss auf die hohle Wange drückte.
Da er nicht in der Nähe meiner Eltern wohnte und sie auch nicht regelmäßig besuchte, hatte er sich wohl extra auf den Weg gemacht, um mich zu sehen. Ich war zu Tränen gerührt.
Fran rettete mich, ehe ich von meinen Gefühlen überwältigt wurde.
Sie räusperte sich. »Wir sollten lieber reingehen, Leute. Bringt nicht viel, hier draußen rumzustehen, oder? Sogar die Hunde, diese gierigen Bastarde, sind schon hungrig.«
Meine Mutter musste wochenlang am Herd gestanden haben, denn der Tisch bog sich unter dem Gewicht all meiner Lieblingsspeisen.
»Ich habe im letzten Monat immer mal wieder einen Schwung
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