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80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)

80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)

Titel: 80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vina Jackson
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schloss den Gürtel. In einer der Taschen fand sie ein zerknittertes Bündel Geldscheine. Sie trat an den Straßenrand, winkte ein Taxi heran und fuhr zum Hotel zurück.
    Dort stellte sie sich noch einmal unter die Dusche. Sie wusch sich nicht nur den Dreck ab, sondern auch die Erinnerung an ihre Verzweiflung, und beschloss, das Korsett nie mehr zu tragen.
    Dann fiel sie in einen tiefen Schlaf.
    Am nächsten Morgen weckte sie ein Anruf ihrer Agentin. Ob sie die Tournee, die in ein paar Wochen enden sollte, nicht verlängern und noch vierzehn Tage Australien und Neuseeland dranhängen wolle?

9
    HEIMKEHR
    Kaum etwas machte mich glücklicher, als am Auckland Airport das große Holzportal zu durchschreiten, das am Ende des langen Gangs im Einreisebereich signalisiert, dass man in Neuseeland angekommen ist.
    Als Erstes erreichte mich immer das Gezwitscher des Tui-Vogels, die Klangkulisse vom Band, kurz vor der Passkontrolle an dem zeremoniellen Tor mit den geschnitzten Maori-Figuren, das meine Heimat vom Rest der Welt trennt.
    An dieser Stelle musste ich mich immer beherrschen, nicht loszurennen, um draußen vor dem Gebäude wie der Papst den Boden zu küssen. Sicherlich würden mir, wenn ich es täte, Zollbeamte und eine Meute bestens abgerichteter Hunde durch das Flughafengebäude hinterherjagen, um mein Gepäck nach verbotenen Früchten und Gemüse zu durchsuchen.
    Ich wusste allerdings nie genau, wie mein Verhältnis zu Neuseeland eigentlich war, denn immerhin hatte ich das Land aus eigenem Antrieb verlassen, kam nur selten zu Besuch und war mir nicht sicher, ob ich je wieder dort leben wollte. Zugleich vermisste ich es mehr als alles andere. Nichts ließ mein Herz vor Freude höher hüpfen, als wenn beim Blick aus dem Flugzeugfenster Aotearoa unter mir auftauchte.
    Aotearoa, Land der langen weißen Wolke, ein seltsamer Name für ein Land, das man weniger mit Wolken als vielmehr mit den Hügeln verbindet, die sich wie Bäuche von Schwangeren aus der Ebene erheben; mit einem Meer so hell und klar wie ein Fischauge; und mit Flüssen, die sich gemächlich von einem Ende des Landes zum anderen winden und in deren ruhigem, goldenem Wasser sich Aale und Forellen tummeln – ein Anblick, der mich stets an die heißen Nachmittage und Wochenenden erinnerte, an denen ich mich stundenlang im Waihou auf dem Rücken hatte treiben lassen.
    Es war mir gelungen, vor dieser Etappe der Tournee ein paar freie Tage auszuhandeln, sodass ich meine Familie in Te Aroha besuchen konnte, dem kleinen Städtchen einige Autostunden südlich von Auckland, in dem ich geboren wurde.
    Meine Highschool hatte sich mit mir in Verbindung gesetzt und mich gebeten, beim Morgenappell eine kleine Rede zu halten. Welche Ironie, denn ich war keine besonders gute Schülerin gewesen und hatte die Hochschule bereits nach einem einzigen Jahr Musikstudium geschmissen. Außerdem sollte ich als heimgekehrtes Kind der Stadt in der Schulaula ein kleines Konzert geben, und meine Mutter hatte mir stolz berichtet, dass ein Foto von mir in der örtlichen Zeitung sei. Zum Glück nicht jenes, das meine Plakate in New York geziert hatte und mich unbekleidet zeigte.
    Ich schnappte mein Gepäck und stürmte durch die Schiebetüren in die Ankunftshalle, wo ich eifrig Ausschau nach meinem Bruder hielt, der sich bereit erklärt hatte, mich abzuholen. Ben arbeitete in der Nähe von Pukekohe in einem Stahlwerk, hatte sich aber diese Woche freigenommen, um während meines Besuchs ebenfalls in Te Aroha zu sein.
    Doch er war nirgends zu sehen.
    Da brummte das Handy in meiner Tasche.
    »Hey, Schwester. Komm raus. Ich fahre im Kreis, um die Parkgebühr zu sparen.«
    Typisch.
    Er war bei seiner fünften Runde um den Abholbereich, als er mich entdeckte.
    »Hallo, Bruderherz!«
    »Hey, Schwesterchen!«
    Ben sprang aus dem Wagen und umarmte mich. Er roch nach Schweiß und Schmiere und hatte sich kaum verändert, seit ich ihn zuletzt gesehen hatte. Höchstens dass durch seine Arbeit im Stahlwerk seine Schultern noch ein bisschen breiter geworden waren und sich in seinem dunklen Schopf die ersten grauen Haare zeigten.
    »Schnell, hüpf rein, bevor sie uns erwischen«, sagte er und deutete mit dem Kinn auf die Schilder mit dem eindringlichen Hinweis, dass jedes auch nur kurze Anhalten in diesem Bereich strengstens bestraft werde.
    Er legte meinen Geigenkasten so vorsichtig auf den Rücksitz, als wäre er ein rohes Ei.
    Seit ich mich erinnern konnte, fuhr mein Bruder denselben Wagen, einen

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