80 Days - Die Farbe der Lust
die geschlossenen Augen der jungen Frau (welche Farbe sie wohl haben mochten?) und daran, dass sie sich völlig der Musik hingegeben hatte. Zu gern hätte er gewusst, wie sie roch. Seine Gedanken eilten weiter, zu Claudias Möse, zu ihrer Tiefe, wie er sie mit den Fingern erkundet hatte, während sein pochender Schwanz sich an ihrer Haut rieb, wie sie ihn gebeten hatte, die Faust zu nehmen, und wie er geschmeidig hineingeglitten war in ihre feuchte Höhle, wie ihr Stöhnen geklungen hatte, der Schrei, der über ihre Lippen kam, und wie sich ihre Nägel mit einem wilden Hieb in die empfindliche Haut seines Rückens gegraben hatten. Das nächste Mal würde er diese CD auflegen, wenn er Claudia fickte, beschloss er und holte tief Luft. Aber in seiner Vorstellung war es nicht Claudia, die er nahm.
Am nächsten Tag hatte er keine Vorlesungen, da er seinen gesamten Unterricht an der Hochschule in lediglich zwei Tage pro Woche gepackt hatte. Trotzdem verließ er, einem spontanen Entschluss folgend, zur Feierabendzeit seine Wohnung und fuhr zur U-Bahn-Station Tottenham Court Road. Er wollte die junge Musikerin wiedersehen. Und, mit etwas Glück, herausfinden, welche Farbe ihre Augen hatten. Entdecken, welche anderen Musikstücke sie sonst noch in ihrem Repertoire hatte. Sehen, ob sie anders gekleidet war, vielleicht passend zum Tag oder zu ihrer Musikwahl.
Aber sie war nicht da. Stattdessen stand an dem Platz ein Kerl mit langem, fettigem Haar, der sich in größenwahnsinniger Selbstverkennung durch »Wonderwall« quälte und den abgestumpften Pendlern schließlich eine noch schlechtere Version von »Roxanne« zumutete.
Dominik fluchte leise.
An den folgenden fünf Abenden fuhr er regelmäßig voller Hoffnung zum U-Bahnhof, stieß jedoch lediglich auf eine Reihe von Straßenmusikern, die mit unterschiedlichem Erfolg Bob Dylan oder die Eagles spielten oder zu einer auf Band aufgenommenen Orchesterbegleitung Opernarien sangen. Von der Geigerin keine Spur. Wie er wusste, hatten die Musiker feste Standorte und Zeiten, doch er konnte nicht herausfinden, wann sie an der Reihe war. Möglicherweise war sie sogar eine unregistrierte Künstlerin gewesen, die nie wieder in dieser Station spielen würde.
Schließlich bat er Claudia zu sich.
Als sie miteinander schliefen, war es für ihn fast wie ein Racheakt, als müsste er sie dafür bestrafen, dass sie keine andere war. Er wies sie gebieterisch an, sich hinzuknien, und nahm sie gröber, als es sonst seine Art war. Sie sagte nichts, doch er wusste, dass sie keinen Spaß daran hatte. Mit einem brutalen Griff um die Handgelenke drehte er ihr die Arme auf den Rücken, dann drang er so weit in sie ein wie möglich, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, dass sie trocken war. Er wärmte sich an dem lodernden Feuer in ihrem Innern und pumpte mit der Präzision eines Uhrwerks, dabei betrachtete er mit perverser Distanz, dass ihr Hintern unter seinem heftigen Druck nachgab, eine pornografische Einzelheit, an der er sich schamlos ergötzte. Hätte er eine dritte Hand gehabt, er hätte ihr auch noch brutal das Haar zurückgerissen. Warum wurde er manchmal derart von seiner Wut überwältigt? Claudia hatte ihm nichts getan.
Vielleicht war er ihrer allmählich müde. Womöglich war es an der Zeit, sich eine andere zu nehmen. Aber wen?
»Macht es dir Spaß, mir wehzutun?«, fragte sie ihn später, als sie mit einem Drink im Bett saßen – erschöpft, schwitzend und aufgewühlt.
»Manchmal«, erwiderte Dominik.
»Du weißt, dass es mir nichts ausmacht«, sagte Claudia.
Er seufzte. »Ja. Vielleicht geschieht es gerade deswegen. Willst du damit sagen, dass es dir gefällt?«, fragte er.
»Ich bin mir nicht sicher.«
Daraufhin verfielen sie in ihr postkoitales Schweigen, das sie so oft trennte, und sanken irgendwann in den Schlaf. Sie brach früh am Morgen auf, hinterließ einen Zettel mit der Entschuldigung, sie müsse zu irgendeinem Vorstellungsgespräch, und eine Strähne ihres roten Haars auf dem Kopfkissen, um Dominik daran zu erinnern, dass sie über Nacht geblieben war.
In dem Monat, der nun folgte, spielte Dominik keine klassischen CDs mehr, wenn er allein zu Hause war. Irgendwie fühlte er sich nicht wohl dabei. Das Semesterende nahte, und er verspürte den Drang, mal wieder auf Reisen zu gehen. Nach Amsterdam? Oder Venedig? Oder gleich nach Übersee? Vielleicht Seattle? New Orleans? Andererseits hatten diese einst mit so viel Freude besuchten Ziele für ihn nicht mehr den gleichen
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