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80 Days - Die Farbe der Lust

80 Days - Die Farbe der Lust

Titel: 80 Days - Die Farbe der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V Jackson
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Dominik hatten sie sechs Monate lang eine wunderbare Einführung in die Welt und in das Repertoire der klassischen Musik geboten. Er war begeistert und gab danach – noch in den glorreichen Zeiten des Vinyls – sehr zur Verwirrung seines Vaters den Großteil seines bescheidenen Taschengelds für Schallplatten aus: Tschaikowski, Grieg, Mendelssohn, Rachmaninow, Berlioz und Prokofjew waren die Helden in seiner Ruhmeshalle. Erst ein Jahrzehnt später fand er zum Rock. Stets einer der Letzten, der gesellschaftlichen und musikalischen Trends folgte, ließ er sich genau zu der Zeit die Haare ein bisschen länger wachsen, als Bob Dylan auf der Elektrogitarre zu spielen begann. Bis heute aber hörte er klassische Musik, wenn er mit dem Auto unterwegs war. Sie verhalf ihm zu mehr Gelassenheit, klärte den Geist und vertrieb die viel zu häufigen Wutanfälle, die er, ungeduldig, wie er nun mal war, beim Autofahren bekam.
    Die junge Frau hatte die Augen geschlossen und wiegte sich leicht in den Hüften, als verschmelze sie mit der Melodie. Sie trug einen schwarzen knielangen Rock und eine cremefarbene Bluse mit hohem Spitzenkragen, die im Neonlicht hier unten leicht schimmerte. Der Stoff umspielte sie so locker, dass ihre Körperformen nicht auszumachen waren. Was Dominik sogleich auffiel, waren die vornehme Blässe ihres Halses und ihre zarten Handgelenke, die hingebungsvoll den Bogen führten und den Hals der Geige umfassten.
    Die Geige selbst war wohl recht alt und sah ziemlich mitgenommen aus, an zwei Stellen war sie sogar mit Klebeband geflickt. Doch die warme Farbe ihres Holzes harmonierte wunderbar mit der flammenden Mähne dieser jungen Musikerin.
    Dominik stand wie gebannt volle fünf Minuten da und beobachtete die Geigerin, ohne auch nur einmal den Blick von ihr zu wenden. Für ihn existierte weder die Zeit noch der stetige Strom der Pendler, die auf dem Weg in ihr jeweiliges Privatleben an ihm vorbeieilten. Sie hingegen verlor sich genussvoll in den ausgefeilten Tonfolgen Vivaldis und schien an ihrer Umgebung und ihrem unfreiwilligen Publikum nicht das geringste Interesse zu haben. Ebenso wenig wie an dem mit zerschlissenem Samt ausgeschlagenen Geigenkasten zu ihren Füßen, in dem sich die Münzen sammelten. Doch keiner der Passanten gab ihr etwas, solange Dominik da stand und ihr fasziniert lauschte.
    Sie öffnete kein einziges Mal die Augen und schien in Trance versunken, ihr Geist voll und ganz von Musik durchdrungen. Sie schwebte auf den Schwingen der Melodie dahin.
    Auch Dominik schloss jetzt die Augen. Unbewusst versuchte er, ihr nahe zu sein in dieser anderen, in ihrer Welt, in der die Musik die gesamte Wirklichkeit ausradierte. Doch immer wieder schlug er die Augen auf. Er musste einfach sehen, wie ihr Körper, kaum wahrnehmbar, millimeterweise mitschwang und wie sie mit jeder Muskelfaser nach dieser Ekstase der Andersartigkeit strebte. Verdammt, was würde er darum geben zu wissen, was sie in diesem Augenblick empfand, seelisch wie körperlich.
    Nun näherte sie sich dem Ende des »Sommer«-Concertos. Dominik zog sein Portemonnaie aus der linken Innentasche seiner Lederjacke und suchte nach einem Geldschein. Auf dem Weg zur Universität heute Morgen war er an einem Geldautomaten gewesen. Jetzt schwankte er kurz zwischen einem Zwanziger und einem Fünfziger. Sein Blick ruhte auf der jungen Rothaarigen und folgte dann der aufkeimenden Bewegung, die ihren ganzen Körper erfasste, als sie den Bogen erneut in einem spitzen Winkel auf die Saiten legte. Dabei spannte sich kurz ihre Bluse, sodass der schwarze BH durchschimmerte, den sie darunter trug.
    Dominik spürte, wie sich seine Lenden regten, und das lag nicht an der Musik. Er nahm die Fünfzig-Pfund-Note und schob sie in den Geigenkasten, wo er sie hastig unter einer Schicht Münzen verbarg, damit sie keinem skrupellosen Passanten ins Auge stechen konnte. Die junge Frau, die sich inzwischen wieder völlig der Musik hingab, bekam davon nichts mit.
    Als nach dem Adagio kurz Stille einsetzte, wandte er sich zum Gehen. Jetzt dominierten wieder die gewohnten Geräusche einer U-Bahn-Station mit gehetzten, in alle Richtungen eilenden Pendlern.
    Später lag er zu Hause auf der Couch und hörte sich eine Aufnahme der Vivaldi-Konzerte an, die er in seinen Regalen aufstöberte, eine CD , die er seit Jahren nicht angerührt hatte. Er konnte sich nicht einmal erinnern, sie gekauft zu haben. Vielleicht war sie das Werbegeschenk einer Zeitschrift gewesen.
    Er dachte an

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