90 Tage auf Bewaehrung

Tochter auf der Tanzfläche erspähte und an den Haaren herauszog. Nicht zu vergessen die üblen Beschimpfungen gegen die Betreiber dieses Etablissements. Es war der peinlichste Moment ihres Lebens.
    Und trotzdem: Musik und Liebe gehören einfach zusammen. Wenn ich zurückdenke, verbindet mich mit fast jeder längeren Beziehung irgendein Lied. »Verdammt ich lieb dich« zum Beispiel (meine Freundin Sabrina besteht jetzt gerade in der Sekunde darauf, dass ich das schreibe!). Hübsch ist auch die Erinnerung, die ich mit »Mutti, guck, Mutti, guck, fremder Hahn auf unsrer Tuck,« verbinde. Sie ahnen, ich war auch mal mit einem sehr komischen Menschen zusammen.
    Jedes Paar möchte doch sein eigenes Lied haben. Das kann auch dazu führen, dass man einfach ein Lied benennt,
auf Teufel komm raus, auch wenn’s eigentlich geschummelt ist. Es ist toll, es gehört nur uns, es verbindet uns selbst im Streit.
    Ronja hatte mal eine ganz heiße Affäre mit einem gewissen Henry - sechs Wochen in Thailand. Strand, Sonne, sensationeller Sex und immer wieder das gleiche Sommerlied aus allen Lautsprechern. Das kitschigste thailändische Fahrstuhllied, das man zu Hause nie hören würde. Dann irgendwann Flughafen, Ende, tschüss, auf Nimmerwiedersehen. Der Trennungsschmerz war erheblich, aber Zeit heilt ja alle Wunden. Bis zu dem Moment, als sie diesen Song bei einem Asiaten in Berlin hörte und fast an ihren Nudeln erstickte! Sofort war alles wieder da! Eigentlich lag sie gerade am Strand in seinen Armen, noch tropfnass vom Meer.
    Sie zog den Koch aus der Küche, schwatzte ihm die zerkratzte CD ab, für die der Verbrecher mehr verlangte als für sein miserables Essen, und machte sich auf die Suche nach ihrer Sommerliebe. Es hat drei Monate gedauert, ihn zu finden. Und dann waren sie vier Jahre zusammen. (Ob die Geschichte jetzt genau so stimmt, überlasse ich ihrer Phantasie. Aber vielleicht macht sie ja gute Laune und motiviert auch Sie, mal wieder in Ihren alten CDs zu kramen.)
    Aber eins ist auch klar: Nach der Trennung bereitete Ronja dieser Song nur noch Übelkeit! Zumal die CD komplett im Eimer war - denn während der Trennungsphase hatte sie ihren CD-Spieler auf »repeat« und die Nachbarn auf eine extreme Geduldsprobe gestellt: Sie hörte dieses Lied nämlich annähernd 2728 Mal.
    Mein Liebster und ich hatten noch keinen Song, der »unser Lied« war. Wieso eigentlich nicht? Wann entscheidet sich, welches Lied »unser Lied« wird? Es ist ja leider nicht so, dass man in ein Musikgeschäft geht und sagt: Guten Tag,
ich hätte gerne »unser Lied«. Zweimal, bitte. Für ihn und mich. Ach, am besten gleich dreimal, falls die CD zerkratzt (wer immer uns erzählt hat, CDs seien unkaputtbar, hat gelogen, meine sind jedenfalls fast alle kaputt!)
    Kerstin hat’s meistens so gemacht: Entweder sie hat bei dem Lied die Jungs kennen gelernt, das erste Mal geküsst oder einen besonders hübschen Höhepunkt erlebt. Manchmal, meint Kerstin, ist es aber auch einfach so, dass man gemeinsam - im Auto oder Restaurant, auf der Skihütte oder in einer Bar sitzt, ein Lied hört, sich dabei tief in die Augen schaut und wortlos spürt: Ja, das ist es!
    Eine Tragödie, wenn niemand den Interpreten kennt oder man den Titel nicht aussprechen kann. Stellen Sie sich vor, wie Sie dem netten, geduldigen Verkäufer aus der Erinnerung irgendwelche schiefen Tonkombinationen vorsingen, dabei hilflos lächeln und hoffen, dass niemand im Laden Sie kennt. Sie machen auf jeden Fall dem Verkäufer einen schönen Abend - am Stammtisch werden sich alle auf Ihre Kosten amüsieren, wenn er die Geschichte erzählt. (Werden Sie ja aber nie erfahren!)
    Die Mühe lohnt sich jedoch - denn nichts ist schöner als die Erinnerung an viele glückliche Stunden, die Sie mit diesem Lied verbinden. Sogar in ausweglosen Situationen (die Schwiegermutter steht unangemeldet mit gepackten Koffern vor Ihrer Tür und möchte gerne mal sechs Wochen bleiben!) kann sich die Himmelspforte öffnen, wenn plötzlich Ihre Melodie aus dem kleinen Küchenradio quäkt! By the way: Wenn Sie einen Titel suchen, nehmen Sie auf jeden Fall einen Klassiker. Die werden auch in 20 Jahren noch gespielt! Britney Spears mit »Oops, I did it again« kann auf dumme Gedanken bringen und im »besten« Fall in zwei Jahren von allen Playlists verbannt sein.

    Gerechtigkeit muss sein! Manche Lieder gehören einfach irgendwann in die Tonne.
    Nun wäre ich nicht ich, wenn ich dieses Problem und seine Lösung dem Zufall