90 Tage auf Bewaehrung
am Gürtel lässig das Designer-Küchenhandtuch, barfuß, perfekte Lichtatmosphäre, selbstverständlich schon Stunden vorher dekantierter Rotwein, Jahrgang 1995, Blumendekorationen - unaufdringlich und so selbstverständlich wie auf einer Sommerwiese blühend.
Nebenbei kochte er so lecker wie Tim Mälzer. Die Küche sah hinterher aus wie vorher, jedes Gericht war auf den Punkt, leicht und perfekt. Jedes einzelne Kräuterlein war herauszuschmecken in geradezu sinnlicher Perfektion. Und jetzt ich! »Kann ich dir helfen?« Achtung! Fehler! Ganz falsche Frage! »Ach, du könntest den Ingwer schneiden«, während er mir das Rotweinglas reichte, mir tief in die Augen schaute und ich kurz davor war, mir schon vor dem Essen meine Bluse vom Leib zu reißen!
Ich schwöre, sooo war’s. Und dann kam der Ingwer. Das Messer, das Brettchen und ich! Ich versuchte, möglichst lässig zu fragen, wie ich denn um Himmels willen diesen Ingwer schneiden sollte. (Sie ahnen vielleicht, wie peinlich allein diese Frage war angesichts der hollywoodreifen Filmszene, in der ich mich gerade befand.) »Wie brauchst’n den?«
Er flüsterte fast: »Ganz kleine Würfelchen, meine Schöne.« Okay, ich bemühte mich wirklich. Es floss kein Blut, und der Ingwer wurde zercrasht wie Cocktail-Eis. Mir fehlte wohl der nötige Respekt vor der sinnlichen Einzigartigkeit dieser Frucht - oder ist es ein Gemüse? Er sah milde und geduldig zu, bis er das letzte Stück Ingwer vor meiner Zerstörungswut rettete und binnen 18 Sekunden die Würfelchen so fabrizierte, wie er sie brauchte. Auch das Dinner war denkwürdig: Während ich munter drauflosplauderte, unterbrach er mich gelegentlich mit einem hingehauchten »Spürst du auch dieses besondere Aroma des Olivenöls - extra aus Italien, nur für dich.« Ja, das Öl war lecker und schlabberte mir um den Mund. Auch die Konversation war genauso speziell und forderte mich heraus: Er fragte nach meinen literarischen Vorlieben, welche Oper mir die liebste sei und was ich von Filmen wie »Eyes Wide Shut« hielt (redaktionelle Anmerkung: hocherotische Filmkunst - andere würden Porno sagen).
Er konnte himmlisch küssen - aber dabei ist es geblieben. Ich war ihm zu anstrengend. Komisch!
So, ich hatte also eine Vorgabe in meinem Kopf - ich sah mich und den italienischen Don Juan in meiner Erinnerung - und verzweifelte noch mehr!
Mutter! Jörg! Sabrina! Wer kann noch kochen? Kerstin! Auf Ronja konnte ich in diesem Fall verzichten, die kann nur das, was ich auch kann: nichts! Ebenso wie auf meine Analytikerin Frau S., weil ich mich nicht getraut hätte, sie nach einem guten, einfachen Rezept zu fragen. Sie hätte mich möglicherweise sofort als »austherapiert« entlassen.
Natürlich wär’s am einfachsten gewesen, meinen Lieblingsitaliener zu bequatschen, aber ich wollte meine junge Beziehung nicht mit einer derartigen Lüge starten!
Also ging ich neue Wege. Der erste Anruf galt meiner Mutter (Sie erinnern sich, dass sie wenigstens den Herd bedienen konnte!): »Mama, wenn du irgendwann Enkelkinder haben möchtest, dann setz jetzt deinen Hintern in Bewegung!« Bei Jörg war’s einfachen: »Schöner, du bist doch der Größte. Deine Schaumsüppchen von Topinambur mit Weinbergschnecken und Kalbsbries (Bäääähh - hat er mal Silvester gemacht!) sind doch unschlagbar.« Ich meine, wer so was kochen kann, sollte auch ein paar Nudeln draufhaben, oder?
Sabrina brauchte ich auch noch: Sie kannte die besten Nachspeisen - verführerisch und sexy. Pure Erotik und Sinneslust. Ich sah mich schon nackt vorm Kühlschrank sitzen und die Reste aus der Schüssel von seinem Finger ablecken... Mein Leben könnte so schön sein. Allerdings war’s bis dahin noch ein weiter Weg.
Na ja, und Kerstin, die dreifache Mutter, ist natürlich in der Lage, nicht nur alles kochen zu können, sondern auch jedes Küchenchaos sofort zu beseitigen. Und ich? Ich musste schließlich alles delegieren und fühlte mich nur für die Atmosphäre verantwortlich: Kerzen, richtige Musik und Duftlampe mit einer leicht aphrodisierenden Wirkung.
Mama hörte sofort die Hochzeitsglocken läuten und sah sich schon mit der Schwiegerfamilie unterm Weihnachtsbaum sitzen. »Gott, mein Kind will kochen! Es muss was Ernstes sein.« Die Frage war nur: WAS wollten wir kochen??
Hm, ich wusste es auch nicht. Mich in Sachen Essen zu fragen war ohnehin komplett unnötig. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt meiner Beziehung nie Hunger. Zum Glück funktionierte das Team, das
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