900 Großmütter Band 2
»Die Wirklichkeit schmilzt weg, Regina! Exorzisiere diesen Alptraum, wenn du ihn auf irgendeine Weise heraufbeschworen hast! Ich hab es ja immer gewußt: du sollst nicht soviel in diesem Buch herumschmökern.«
»Hör mal, Mister Rappelkopf«, sagte Regina, das Weib, »lerne erst mal so küssen wie der, ehe du mir Vorschriften machst, wen ich hier exorzisieren soll! Ich will ja nichts als ein bißchen Zuneigung. Und den da habe ich bestimmt nicht in einem Buch gefunden.«
»Woher sollen wir denn wissen, welcher Papa ist? Sie sehen ja beide ganz egal aus«, ertönten die drei kleinen glockenreinen Stimmen der Töchter Clara-Belle, Anna-Belle und Maudie-Belle.
»Himmel, Hölle und Hippies!« röhrte Homer, der Mann. »Woher ihr das wissen sollt? Der hat ja grüne Haut!«
»Gar nichts gegen grüne Haut zu sagen, wenn sie schön sauber ist und immer eingeölt wird«, plädierte Regina.
»Der hat ja Tentakeln statt Hände!« sagte Homer, der Mann.
»Hach, und was für welche!« juchzte Regina.
»Woher sollen wir wissen, welcher Papa ist? Die sehen ja beide ganz egal aus«, fragten die fünf Hoo se-Kinder im Chor.
»Also bestimmt gibt’s da eine ganz einfache Er klärung, alter Bursche«, sagte Homer, das Monst rum. »Wenn ich du wäre, Homer – und man kann dar über streiten, ob ich du bin oder nicht – also, ich glaube, ich würde mal zum Arzt gehen. Ich glaube nicht, daß wir alle beide gehen müssen, denn unser Prob lem ist ja dasselbe. Hier ist die Adresse von einem guten Arzt«, sagte Homer, das Monstrum, und schrieb sie auf.
»Ach, den kenne ich«, sagte Homer, der Mann, als er den Zettel las, »aber woher kennst du denn den? Der ist doch kein Tierarzt. Regina, ich geh also rüber zum Doktor, er soll mal sehen, was mit mir los ist, oder mit dir. Bis ich zurück bin, sieh zu, Regina, daß du diesen Nachtmahr in die eine oder andere Ecke deines Unterbewußtseins zurückgescheucht hast, wo er hingehört!«
»Frag den Doktor, ob ich die rote Medizin weiter nehmen soll«, sagte Regina.
»Nein, den nicht. Ich geh zum Kopf-Doktor.«
»Dann frag ihn, ob ich diese hübschen sanften Träume noch weiter träumen soll«, sagte Regina. »So langsam hängen sie mir zum Halse raus; ich will wieder die andern träumen. Homer, laß den Koriander-Samen hier, wenn du gehst!« Und sie holte ihm die Packung aus der Tasche. »Du hast daran gedacht. Mein anderer Homer hat es vergessen.«
»Nein, das habe ich nicht«, sagte Homer-Monstrum. »Du wußtest nur nicht mehr, was ich dir bringen sollte. Hier, Regina.«
»Ich bin bald zurück«, sagte Homer-Mann, »der Doktor wohnt gleich um die Ecke. Und du, Bursche, wenn du wirklich wirklich bist, bleibe mit deinen planktonrupfenden Polypen aus meiner Frau heraus, bis ich wieder da bin!«
Homer Hoose ging die Straße entlang bis zur Ecke, wo Dr. Corte wohnte. Er klopfte an die Tür, öffnete sie und trat ein, ohne eine Aufforderung abzuwarten. Der Doktor saß hinter seinem Tisch und schien etwas benommen zu sein.
»Ich habe ein Problem, Doktor«, sagte Homer-Mann. »Als ich heute abend nach Hause kam, war da ein Ungeheuer – ein Monstrum –, und es fraß meine Frau auf, oder mir kam es jedenfalls so vor.«
»Ja, ich weiß«, sagte Dr. Corte, »wir müssen unbedingt dieses Loch an der Ecke zumachen.«
»Ich habe gar nicht gewußt, daß da ein Loch ist, Doktor. Ja, – so und so, der Kerl hat meine Frau gar nicht gefressen; das war nur die Art, wie er seine Zuneigung ausdrückt. Alle meinen sie, das Monstrum sieht aus wie ich, und dabei hat es grüne Haut, und Tentakeln auch noch. Als ich auch anfing zu denken, daß es aussieht wie ich, bin ich hergekommen – ich möchte wissen, was da mit mir nicht stimmt, oder mit all den anderen.«
»Ich kann Ihnen nicht helfen, Hoose. Ich bin Psychologe, kein Allgemeinpraktiker. Man kann nur eins tun: wir müssen das Loch an der Ecke zumachen.«
»Doktor, an der Straßenecke ist gar kein Loch.«
»Ich red’ auch nicht über ein Loch in der Straße. Homer, eben bin ich von einer Visite in eigener Angelegenheit zurück, die mich mächtig geschockt hat. Ich war bei einem Analytiker, der Analytiker analysiert. ›Ein paar Dutzend Leute sind in letzter Zeit mit der gleichen Geschichte zu mir gekommen‹, sagte ich zu ihm. ›Sie alle kommen abends nach Hause, und alles ist ganz anders, oder sie sel ber sind anders, oder sie stellen fest, daß sie schon da sind, wenn sie da sind. Was machen Sie, wenn ein Dutzend Leute mit der gleichen
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