900 Großmütter Band 2
Löcher oder Einstiege, aber meins ist, soweit mir bekannt ist, das einzige willkürlich geschaffene.«
»Da ist aber eine Diskrepanz«, sagte Dr. Corte. »Wenn die Persönlichkeiten getrennt sind, wie können Sie dann von einer in die andere hinüberwechseln?«
»Ich wechsele nicht von einer zur anderen«, sag te Diogenes. »Jetzt und hier haben Sie drei verschiedene Diogenesse gehört, die Ihnen nacheinander Vortrag gehalten haben. Glücklicherweise sind meine Gestalt-Kollegen und ich in der Arbeit ausgezeichnet aufeinander abgestimmt, denn wir denken alle gleichermaßen wissenschaftlich. Wir haben heute abend mit Ihnen ein erfolgreiches Experiment über das Akzeptieren von Ersatzpersonen durchgeführt. Oh, was für eine verästelte Angelegenheit! Alle die verschiedenen Aspekte, die dabei zu studieren waren! Ich werde Sie jetzt aus Ihrer engen Welt der Gestalt 2 herausnehmen und Ihnen Welten über Welten zeigen.«
»Sie reden über den Gestalt-Komplex, zu dem wir normalerweise gehören«, sagte Regina, die Frau, »und über andere bis zur Gestalt 9 und vielleicht bis 100. Gibt es keine Gestalt 1? Eine Menge Menschen fangen doch bei Eins an zu zählen.«
»Es gibt eine Nummer 1, Regina«, sagte Diogenes. »Ich habe sie zuerst entdeckt und benannt, ehe mir klar wurde, daß die gewöhnliche Welt der meisten von Ihnen der gleichen Kategorie angehört. Aber ich habe nicht die Absicht, wieder in Gestalt 1 einzugehen. Sie ist auf unerträgliche Weise geschwollen und trist. Ein Beispiel für ihre Mediokrität wird genügen: Die Menschen der Gestalt 1 sprechen von ihrer Welt als der ›Alltäglichkeit‹! Wenn Sie kotzen müssen, tun Sie das bitte leise. Möge der Niedrigste unter uns niemals so tief sinken! Dattelpflaumen nach dem ersten Frost! Alte Frisierstühle! Rote Hartriegelblüten in der dritten Novemberwoche! Murad-Zigaretten-Reklame! «
Diogenes schien beunruhigt, und er rief die letzten Worte in einem Zustand leichter Panik. Er wandelte sich in einen anderen, etwas unterschiedlichen Menschen, aber dem neuen Diogenes gefiel kei neswegs, was er da sah.
» Duft von feuchtem Süßklee!« rief er nun, »St. Mary’s Street in San Antonio! Flugzeugmodell-Kleber! Mondkrabben im März! – Verdammt, es funktioniert nicht! Die Ratten sind mir weggelaufen! Homer und Homer, schnappt euch den anderen Homer da! Ich glaube, das ist eine Gestalt 6, und die sind verflucht bösartig!«
Homer Hoose war durchaus nicht besonders bösartig. Er war bloß ein paar Minuten später als sonst nach Hause gekommen und hatte dort zwei andere Kerle vorgefunden, die aussahen wie er und sich mit seinem Weibe Regina auf dem Teppich herumwälzten. Und diese beiden Phrasendrescher, Dr. Corte und Pontifex, hatten in seinem Hause auch nichts zu suchen, wenn er nicht da war. Also haute er zu. Das hätten Sie auch getan.
Alle drei Homers waren kräftige und fixe Kerle und hatten eine Menge Blut in sich. Es fing, unterm Krachen und Zerbrechen von Möbeln, auch alsbald an zu fließen – ockerfarbenes Blut, perlgraues Blut – einer der drei Homers hatte sogar Blut, das in einer Art Rot schimmerte. Die Kerle machten schon ein richtiges Faß auf!
»Gib mir die Packung Koriander-Samen, Ho mer!« sagte Regina zu dem letzten Homer und nahm sie ihm aus der Tasche. »Schadet gar nichts, wenn man drei hat. Homer! Homer! Homer! Ihr alle drei! Hört gefälligst auf, mir den Teppich vollzubluten!«
Homer war schon immer ein guter Schläger gewesen. Homer auch. Und Homer ebenfalls.
»Stethoskope! Mondbeschienenes Denkmal im – äh – im Spätmärz!« beschwor Dr. Corte. »Klappt nicht, wie? Ich muß auf irgendeine vernünftige Weise hier rauskommen. Jungens, ihr Homers, kommt in meine Praxis, wenn ihr fertig seid, aber immer nur einer auf einmal, damit ich euch verpflastern kann!
Schließlich muß ich auch noch ein bißchen Geld mit richtiger Medizin verdienen, bei diesen Zeiten!«
Und Dr. Corte rannte, mit dem schiefen Trab ei nes Mannes in nicht sehr guter Kondition, zur Tür.
» Alte Superman-Comic-Strips! Congress-Street in Houston! Light Street in Baltimore! Elizabeth Street in Sydney! Lack auf alten Kneipen-Klavieren! B-Girls namens Dotty! Ich glaube, es ist einfacher, wenn ich schwupps nach Hause verschwinde!« rasselte Diogenes und schoß aus dem Zimmer, leichtfüßig wie ein Mann in bester Kondition.
»Mir reichts!« dröhnte einer von den drei Homers – wir wissen nicht, welcher –, als er aus dem allgemeinen Rabatz heraus und gegen
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