~900 Meine Reise auf dem spanischen Jakobsweg. (German Edition)
ich nicht auf Pfeile achten muss entspanne ich mich nach kurzer Zeit sogar und genieße das stumme stumpfe Gehen. Außer mir ist hier kein Pilger, sie meiden wohl alle dieses Gebiet und irgendwie ist es allein schon deswegen für mich doch die richtige Wahl. Immer wieder werde ich von Autofahrern angestarrt – ich grüße freundlich und gehe weiter. Mit jedem verblüfftem Blick freue ich mich mehr und mehr. Ich bin ein Sonderling. Auf dem alten Jakobsweg. Als Pilger. Ironie.
Nahe der Innenstadt wache ich aus meiner Trance auf. Jetzt werden die Pfeile wieder wichtig, ich muss aufpassen sonst verlaufe ich mich. Von geradeaus kann nun keine Rede mehr sein, aber Gott sei Dank: dieses Mal geht alles wie es soll. Der eine – richtige – Umweg, war wohl nötig, jetzt stimmen meine Schritte wieder.
Es ist ein Kulturschock. McDonalds Werbung prangt riesig, beinahe zu groß für meinen Geschmack, auf einem Plakat und verspricht das Neueste von den Asia-Wochen. Ein Pizza-Hut versucht mich zur ‚Sünde’ zu verführen. Tausende von Menschen strömen durch die Straßen, viele davon Touristen. Eine deutsche Reisegruppe spricht mich an: Kaum bin ich angekommen diene ich schon als Vorzeigepilger und beantworte brav Fragen zu meinem Weg. Irgendwie habe ich ja auch Spaß daran.
Als ich in der Herberge sitze wird mir bewusst, dass ich gleich ohne meine typischen Erkennungsmerkmale in die Menschenmasse gehen werde, fast wie ein Tourist. Zumindest kaum noch zu unterscheiden von eben jenen … ein seltsames Gefühl. Pilger sein ist anders. Ich möchte nicht zur Masse werden, nicht angesehen werden als einer von jenen, die ungefragt handeln. Nicht einmal für ein paar Minuten möchte ich Tourist sein. Dieses Gefühl nehme ich mit in mein Leben. Auch wenn ich es jetzt nur ahnen kann. Ich werde nie wieder nur Tourist sein. Respekt gegenüber dem Land, den Menschen, ihrer Sprache und Religion … ich werde nirgends mehr hingehen nur um dort einmal gewesen zu sein. Wenn dann um zu verstehen, mich, andere, meine Seele, oder die Welt. In diesem Moment hätte ich gerne eine kleine Muschel um sie irgendwo an mich oder meine Kleidung zu hängen, so dass ich wenigstens ein winziges Zeichen dafür habe noch Pilger zu sein und wenn es nur für mich selbst wäre.
Bei Apu gibt es Döner zum Mittagessen, genau richtig für mein Loch im Bauch, auch wenn ich die zusätzlich Umherrennerei in Großstädten wirklich nicht sehr schätze. Kaum angekommen muss man zum Supermarkt und zurück, etwas essen und dann, wenn man will noch etwas von der Stadt sehen. Jedenfalls ‚muss’ ich das. So schnell werde ich wohl leider nicht wieder dazu kommen spanische Städte zu besichtigen. Und die kulturellen Güter, die alten Relikte, möchte ich mir nicht entgehen lassen.
Trotzdem besuche ich die Kathedrale nur widerwillig. Es ist mir einfach zuwider Eintritt zahlen zu müssen um in ein Gotteshaus zu gehen. Ich rede mir schließlich selbst ein, dass es doch mehr ein Museum sei und genieße die wunderbaren Räume und Ausstellungsstücke. Von den Kreuzen und Kelchen würde ich sofort welche mitnehmen, aber nein, sie sind ja eh viel zu schwer für mich und meine Knie, so lasse ich sie in ihren Vitrinen stehen und komme in den Genuss nicht mit Verfolgern im Nacken fliehen zu müssen. Auch die Grabplatten faszinieren mich. Wenn auch eher in der Frage, was wohl wirklich darunter liegt. Angeblich El-Cid der Nationalheld. Zu gerne hätte ich Schlüssel, Recht und Wissen um einmal hinter diese Kulissen sehen zu können. Ist es leere? Ein Mythos? Die Knochen eines Jedermanns?
Im Supermarkt gab es Äpfel nur in der großen Familienpackung, so dass ich kurz darauf in einer Straße stehe und Äpfel an andere Pilger verschenke. So lange bis mir selbst gerade noch genug bleiben. Zudem habe ich mir Saft gekauft. Eindeutig, neben dem Eintrittsgeld für die Kathedrale, das best investierte Geld heute. Tausend Mal besser ist solch simpler Orangensaft, wenn man tagelang nur nach Chlor schmeckendes Wasser in den Flaschen hatte. Kleinigkeiten machen das Pilgerleben schön.
Andere Kleinigkeiten jedoch machen es sehr schwer. In der Herberge spielt seit Stunden ein und dieselbe CD von ein und demselben Interpreten, dessen Stimme unglaublich nervig, noch viel unglaublich nervigere Lieder mit furchtbar nervigen Melodien singt. Von den Texten schweige ich besser ganz. Nachdem ich mir das einige Zeit lang angetan habe, stapfe ich müde und wütend nach unten um dem
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