911
Sportwagendorf dem römisch-wolfsburgischen Reich identitätstilgend einverleiben soll. Was macht ein Konzern, der Jetta und Passat produzierte, mit einem Laden, der GT2 RS erträumt hatte? 2010 wird Matthias Müller zum CEO von Porsche. Müllers Vater war Rennleiter bei DKW und so wuchs der Junge an Rennstrecken auf. Porsche-Betriebsrat Uwe Hück, ein leidenschaftlicher SPD-Wahlkämpfer, findet für manche schwer nachvollziehbare Worte der Erleichterung. Er bescheinigt dem Vorstandsvorsitzenden, dass Müller nach Porsche rieche, tiefergelegt sei und breite Reifenhabe. Er sei der Turbo. Was Hück, der einst an der Seite Wiedekings kämpfte, damit verdeutlichen will, ist, dass die Sinnlichkeit des Sportwagens einen Anker in der Persönlichkeit des Chefs haben müsse. Die Jahre der Komfortliebe waren für das Management eine Katastrophe, als Entscheidungen auf die lange Werkbank geschoben wurden. Die Jahre, in denen der Elfer komfortabel zu werden drohte, gefährdeten das Eigenleben des Sportwagens, der zur Existenzgrundlage der Marke geworden war.
Komfort lenkt ab. Einen Sportwagen zügig zu bewegen, erfordert unmittelbare Rückmeldung über Lenkung, Fahrwerk und Armaturen über möglichst viele Daten zur befahrenen Realität. Kantigkeit und Sinnlichkeit galten nach der Übernahme durch VW in der Meinung einiger Experten als erstes Opfer der neuen Konzernsynergien. Doch VW hat gelernt. Blickte der Volkswagen-Konzern auf seine Markenfamilie, sortierte sich das Feld nach vernünftigen, breiten Marken wie VW, Škoda oder Audi und tendenziell exzentrischeren Marken wie Lamborghini und Porsche. Sie werden nur gekauft, um Erfahrungen zu machen, die man in anderen Fahrzeugen nicht machen kann. Es geht um einen Kick, der in der digitalen Welt so kaum mehr spürbar wird. Es geht um ein archaisches Gefühl von Freiheit. Als Symbol der Freiheit wie der rauschhaften Konfrontation mit einer lauten, nervösen, nach Benzin riechenden Realität befinden sich Sportwagen auf dem Rückzug. Ein Auto als Freiheitsversprechen betört immer weniger junge Menschen. Das Smartphone wird wichtiger.
Begann das Erwachsenenleben früher mit dem Führerschein, wird die Dazugehörigkeit zur Lebenswelt der Erwachsenen heute eher mit dem ersten iPhone oder Tablet verbunden. Das gilt besonders für junge Menschen in Großstädten,bei denen die Neigung, früh ein Auto zu kaufen, spürbar sinkt. Die Autofirmen reagieren nervös und produzieren Autos, die sie wie Apple-Produkte nennen oder mit sinnlosen Schnittstellen ausstatten. Andere kostümieren ihre Kleinwagen wie eine Computermaus und polstern deren Sitze in den bunten Farben eines Screensavers. Die in den 80er Jahren so gängige These des französischen Philosophen Jean Baudrillard, dass die Dinge verschwinden, scheint Anfang des 21. Jahrhunderts Allgemeinplatz geworden zu sein. Die Dinge verschwinden, die Realität digitalisiert sich und soziale Netzwerke stellen jene Verbindung zwischen den Menschen her, für die bislang Straßennetze gebraucht wurden. Nähe wird relativ, die gute alte Wirklichkeit ist eine Option, aber keine Verpflichtung mehr.
Einige Autohersteller passen sich dem Trend an und entwirklichen das Fahren eines Autos bis zur Besinnungslosigkeit.
Bei den Elfern bis zum 996er war der Tankdeckel links auf der Fahrerseite, so dass es nach dem Tanken im Inneren des Sportwagens nach Benzin roch. Alle Sinne werden im 911er aktiviert, inklusive des Popometers, jener von Rennfahrern geschätzten Instanz zur Erfassung der Straßenbeschaffenheit und der Verbundenheit des Fahrzeugs damit. Bodenunebenheiten werden nicht geschluckt, sondern sind an den Händen am Lenkrad, am gesamten Körper, der in die engen Sitze gepresst wird, zu spüren. Auch wenn die Elfer seit ihren Anfängen 1963 mit jeder Baureihe etwas komfortabler und milder geworden sind, markiert die Baureihe 996 mit ihrem fast SL-artigen Komfort einen Endpunkt dieser Entwirklichung. Zudem half jene Fahrwerksabstimmung per Knopfdruck, die ihre Anfänge ebenfalls im Rennsport hat. Damit konnte der Fahrer eines 997ers entscheiden, ob er esgerne hart und rennsportlich oder aber lieber bequem und GT-mäßig haben wollte. Per Knopfdruck änderte sich der Charakter des Elfers, wenn man wollte.
In seiner eigenen Kommunikation hat Porsche nie den Purismus dieser Sinneserfahrung verkauft. In den 50er und 60er Jahren wurde der Vorgänger des Elfers, der 356er, als ein bequemes Auto beworben. »Richtig gefedert und springlebendig« sollte
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