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911

911

Titel: 911 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Poschardt
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Sportwagen eine ungewöhnlich stabile Wertanlage zu besitzen. Ein Elfer war ähnlich inflationsresistent wie die Goldbarren im Schließfach der Bank, nur garantierte er deutlich mehr Spaßrendite. Ein RS 2.7 kostete 1972 gerade einmal 34.900 Mark und ist heute gut 300   000 Euro wert. Selbst ein gebrauchter, ziemlich konventioneller 993er bringt heute seinen Neupreis. Die Ur-Elfer und G-Modelle sind heute bis zu fünfmal so teuer, wie sie damals verkauft wurden.
    Wenn man davon ausgeht, dass der Elfer in jeder Lebensphase eine andere psychologische Funktion erfüllt beziehungsweise eine andere Symbolkraft hat, dann ist er in einer so frühen Lebensphase das Versprechen an sich selbst, alles zu geben, stets das Beste anzustreben, sich nie mit dem Mittelmaß abzufinden, immer erneut Herausforderungen zu suchen und anzunehmen sowie unabhängig und frei zu bleiben. Man kann also sagen, 911er fahren in der Adoleszenz hat pädagogisches Potential, welches Motivation, Mut und Selbstvertrauen anregt.
    Wie in einer guten Therapie führt die Begegnung mit dem Elfer nicht etwa in die Abhängigkeit, sondern vielmehr von derselben in die Unabhängigkeit: So haben viele Elfer-Fahrer das mithilfe des Elfers entwickelte Lebensgefühl und -versprechen verinnerlicht. Es war zu einem inneren Objekt geworden, für immer repräsentiert und abrufbar und damit als konkretes Objekt für den Augenblick verzichtbar. Deswegen können sich Elfer-Fahrer auch über Jahre von ihrer Leidenschaft trennen, um unaufgeregt wieder zu ihr zurückzukehren. Denn neben gewissen konstanten Elementen (Eleganz, Qualitätsbewusstsein und Kraft) bedient der Elfer je nach lebensgeschichtlichem Kontext sehr unterschiedliche psychologische Funktionen. Während er beim Kind Sehnsuchtsobjekt ist, bedient er beim Erwachsenen den Spieltrieb und löst Kindheitsträume ein. Beim Bilanzieren in der Lebensmitte fungiert er als Symbol und Rückversicherung erfolgreichen Handelns. Im Alter reaktiviert ein Elfer das mit ihm damals erlebte Gefühl von Freiheit und Vitalität. Das macht ihn fähig, zum lebenslangen Begleiter zu werden, zur ersten Liebe, zu der man immer wieder zurückkehrt. Eine unendliche Geschichte. Ein unsterbliches Auto.

Die individualistische
Utopie

Vereinzelung durch
Massenkonsum

Irgendwann hat der Elfer auch seinen nüchternen, genießenden, aber stetsrationalisierenden Fahrer so weit. Er ist der geworden, der er eigentlich nie sein wollte. Beim vierten, fünften oder sechsten Elfer steht der geradenoch junge, nun ziemlich grauhaarige Mann auf dem Hof hinter der Waschanlagen-Ausfahrt und wischt mit Küchentüchern die Innenseiten der Tür trocken,streichelt letzte feuchte Ecken von den Gummis an den Kotflügeln und entfernt jeden Tropfen Wasser, wo er sich auch versteckt haben mag. Obwohl er seit über 20 Jahren Elfer fährt, hat ihn der neue, der vielleicht ein alter ist, so weit, dass er mit klopfendem Herzen auf sein Coupé blickt und nicht fassen kann, dass es in dieser oft genug unansehnlichen, rüden, unfeinen Welt etwas derart Aufregendes und Anmutiges gibt, das Haltung und Eleganz so unwiderstehlich verbindet. Am Abend nach einer längeren Autobahnfahrt und einigen Sprints auf der Landstraße lauscht er auf dem Gehweg dem Knacken und Knistern des luftgekühlten Boxers. Er atmet vor dem Gang ins Haus noch einmal den ganz speziellen Elfer-Geruch ein, der in die Hemden und Anzüge eingezogen ist, und freut sich am Morgen, wenn genau dieser Geruch beim Einsteigen verspricht, dass das mechanische Zeitalter noch nicht vorüber sei.
    Natürlich ist die These einer klugen jungen Frau aus gutem Hause irgendwie richtig, dass in einem Elfer, den sie liebt, oft genug sterile, verklemmte »Vollidioten« (wie sie sagt) sitzen, die ziemlich stolz sind, wenn eine hübsche Frau in ihren Porsche hineinblickt. Das neureiche Milieu, mit seinen Polo-Leibchen, allzu großen Uhren, originellen Sonnenbrillen, missbraucht die Verkehrswege für PowerPoint-Präsentationen ihrer Wertsachen. Einen Elfer halten sie sich wie ein Trophy-Wife oder einen etwas zu großen Hund. In der Symphonie der Übertreibungen bleiben die feinen Töne des Elfers ungehört.
    Aber über diese Fahrerinnen und Fahrer verliert man in diesem Zusammenhang kein Wort. Möglicherweise sind sie bei einigen Baujahren sogar in der Mehrheit. Aber sie bringen nichts in Misskredit. Sie stören nicht wirklich. Die junge Frau liebt dieses Auto und deswegen interessiert sie sich für die Besitzer eines

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