Aasgeier
wollen wir sie aufklären. Deshalb bin ich bei Ihnen, weil Sie ihm geholfen haben und weil wir gern von Ihnen wissen wollen, welches Verhältnis Sie zu Macmillan haben.“ Er lächelte mich mit seinen vielen weißen Zähnen an. Er schien einige Reihen davon zu haben, wie der Haifisch. Blendend.
„„Ach ja. Ja. Na, wir kamen immer gut miteinander aus. Ein Freund, ein ehemaliger Bull.. äh, Cop, hat uns miteinander bekannt gemacht, und als ich ihm helfen konnte, tat ich das natürlich gern.“
„Brother Ignacio, ja.“ Der wusste wirklich alles. „Und wann haben Sie Macmillan wiedergesehen?“
„Also vor ein paar Wochen war das, beim Haus eines flüchtigen Bekannten. Da wollte er von mir einige Auskünfte, die ich ihm auch gab, und dann ist er wieder weg.“
„Aha. Und seither nicht mehr?“
„Seither nicht mehr.“ Glück gehabt. Er glaubte mir, daß unser letztes Wiedersehen so freundlich vonstattenging.
„Na, gut. Dann kann ich ja die Sache abschließen. Sie waren mein Letzter,“ lächelte er wieder freundlich.
Ich begleitete ihn zur Tür. Er drehte sich auf der obersten Treppenstufe noch mal zu mir um, gab mir sehr unamerikanisch die Hand, zog mich dabei zu sich heran und flüsterte in mein Ohr: „Heute früh, kurz nach Sonnenaufgang, haben Agenten Macmillan und Hartman bei einer Razzia in Naples, Florida eine Mrs. Misty B. Irving und einen Mister Rick Cavanaugh erschossen. Mit Maschinenpistolen, die auf Schnellfeuer gestellt waren. Hier“, sagte er und zog mit dem linken Zeigefinger eine horizontale Linie über seinen nichtvorhandenen Bauch, „abgesägt.“
Drehte sich um und ging eilig zu einem am Straßenrand stehenden schwarzen Auto.
27 White Power
Ich weiß nicht, wann ich die Tür hinter mir zuzog. Ich zitterte am ganzen Körper, zitterte so heftig, dass ich nichtmal das Türschloss auf die Sicherheitsstellung umlegen konnte und einfach offenließ. Der Boden war gerade aus meinem Weltbild gefallen, hatte eine schwarze Unendlichkeit freigegeben.
Ich konnte nur ein gelooptes „jetzt bist du dran" denken.
Nachts irgendwann wachte ich von meinem eigenen Schrei auf. Ich riss mein durchgeschwitztes Bettzeug von der Matratze, zog es hinter mir her ins Wohnzimmer und warf es in die entfernteste, dunkelste Ecke. Dort schlief ich schlecht und recht, bis die Sonne aufging und der Raum die Wärme des neuen Tages aufnahm.
Ich hatte Fieber. Meine Stirn war kochend heiß, mein Hals rau und meine Knie wollten die Last nicht so recht tragen. Ich machte mir eine heiße Zitrone, schaufelte ordentlich Honig in den Steingutbecher und trank das Ganze auf einen gewaltigen Zug aus. Danach war mir wohler.
Misty und Rick tot. Ich konnte es nicht fassen. Nie wieder würde ich mich über den Penner Rick aufregen oder Misty mit niemals ganz erloschener Begierde betrachten. Denn das tat ich noch immer. Ich hatte die Leidenschaft nie vergessen können, die uns verband. Jedenfalls einige Monate verband, bis sich Rick still und heimlich einschlich. Und ich hatte in der Nacht einen unstillbaren Hass auf den Macmillan entwickelt. Denn Misty und Rick waren keine Drogenhändler, was Macmillan ebenso gut wie ich wusste. Der Bulle musste sterben. Vorher würde ich nicht ruhig schlafen können. Als Nächster war ich dran. Daran war nicht zu zweifeln. Was immer Misty und Rick getan hatten, um vom Bullen abgeknallt zu werden, ich war entweder in seinen Augen daran beteiligt oder ich wusste davon. Und das war ein automatisches Todesurteil.
Erst mal raus hier. Ich lief durch die Bude, warf alles in meine paar Taschen, schaute, ob Herd und Ofen ausgeschaltet, der Kühlschrank entstöpselt und die Hintertür abgeschlossen war, und rannte zur Vordertür raus. Den Schlüssel warf ich Rodriguez auf den Ladentisch, winkte ihm zum Abschied und lief zurück zum Auto. Vor seinem Büro stand der Sheriff, hatte beide Hände in den Hosentaschen und kaute irgendwas. Er nickte mir zu, als ich ins Auto sprang.
Die Sonne brannte auf die ausgetrocknete Landschaft nieder, ein weißlicher, leidenschaftsloser Himmel überspannte Dorf, Ölfelder und Wüstengebirge im Norden, die Tage glichen einander wie ein Ei dem anderen. In der Ferne flimmerte der staubgraue Asphaltbelag des Highways. Der Lastwagen, der mir entgegenkam, schien zu schweben. Ein Julimorgen in Mittelkalifornien. Heißer wird´s in der nördlichen Erdhälfte kaum. Ich fror, was das Zeug hielt.
Das Carrizo Plain
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