Aasgeier
Besuches in aller Ausführlichkeit. Er hörte sich an, was ich zu sagen hatte und entschuldigte sich dann bei mir. Er müsse telefonieren. Also wartete ich, bis er ins Zimmer zurückkam.
„Wir fahren gleich weiter. Du hast ja sicher dein Auto irgendwo in der Nähe?“
Hatte ich, ja. Er zog eine Jacke über, setzte eine Baseballmütze auf, griff einen kleinen Backpack vom Haken und ging hinter mir zur Tür hinaus. Wir marschierten quer durch den Wald zum Jeep.
Keine zehn Minuten dauerte die Fahrt. Dann bogen wir von der Landstraße auf einen schmalen Weg, der durch drei Viehgatter unterbrochen wurde. Jedes Mal stieg Bobby aus, öffnete das Tor, ich fuhr durch und er schloss hinter mir wieder ab. Der Weg führte am Abhang eines Berges entlang, kurvte durch Mischwald und kam dann wieder auf eine Wiese, eine schmale Spur zweigte vom Weg ab, und überraschend tauchte mitten im Wald eine Hütte auf. Bobby wies mir den Weg, ich umfuhr die Hütte, die sich von Nahem als recht großes Blockhaus entpuppte, und stellte den Jeep unter ein Flachdach, das zwischen Haus und einem Nebengebäude die Doppelspur trockenhielt. Er schloss die schwere Tür auf und bat mich, vorzugehen.
Der Kronleuchter in der Zimmermitte sah nach den letzten Jahren des Tausendjährigen Reiches aus. Karinhall. Aus Elchgeweih bestand er, ineinander verflochtene Schaufeln, die tellergroße Glasschalen hielten, in denen jeweils eine kindskopfgroße, zur flackernden Flamme geformte Glühbirne leuchtete. Aus Glasaugen starrte ein ganzer Zoo von den Wänden. Hirsche, Bären, Wölfe, Elche, selbst ein Kojote glotzte in eine unbestimmte Ferne, reflektierte das Licht des Nazilüsters. Eine grauenvolle Menagerie. An einer Stirnwand hing eine riesige rote Flagge mit zwei gekreuzten Schwertern auf weißem Kreis. An der Wand gegenüber ein genauso großer Amilappen, der statt Sternen die gleichen gekreuzten Schwerter zeigte. Mein lieber Mann!
Fälscher Bobby grinste mich an. „Ganz schön furchtbar, nicht? Musst erst mal den Gemeinschaftssaal gegenüber sehen“, lachte er. „Aber ohne Preis kein Fleiß.“
Was das nun wieder sollte, wusste ich nicht, aber ich fragte nicht. Mir war ja eigentlich klar, wo wir waren. Zorbians Plantage, ganz sicher. Sie hatten doch erzählt, dass sie in den Bergen hinter Cornwall sei, und dort waren wir nun, in den Bergen hinter Cornwall. Ich wollte ja nicht kleinlich sein und über die Einrichtung mosern. Aber dass der tote Drogen dealende Hobbynazi vor Zorbians Haustür am Meer unten irgendwie hierher gehörte, das war mir völlig klar. Was zur Erkenntnis führte, dass rings um mich gelogen wurde. Die beiden alten Knaben kannten den Kerl doch. Wie hieß er gleich? Jimmy Bones.
Das Schlafzimmer, das mir Bobby zuwies, sah wenigstens nach Ikea und nicht Bürgerbräukeller aus. Einrichtung aus rohgezimmerter Tanne, kariertes Bettzeug, ein bayerisch anmutendes Fenster, Beleuchtungskörper aus dem Kaufhaus. Gottseidank.
Er würde die Nacht im Zimmer gegenüber verbringen, meinte Bobby. „Morgen früh zeige ich dir das Gelände und stelle dich erst mal einigen Leuten vor. Muss sein, sonst hast du Ärger.“ Und den wollen wir nicht herausfordern.
Die feuchte Luft von Meer her hielt die Bude ganz schön klamm, muss ich sagen. Vom Bettzeug holte ich mir die schönste Erkältung. Das Zeug war feucht bis ins Innere, was sofort auf meine Gesundheit schlug. Ich nieste die halbe Nacht, schnüffelte dauernd und hatte wieder Laufnase. Bei Tagesanbruch kam ich in die Küche. Ich konnte nicht länger schlafen vor lauter Erkältung, also machte ich mir eine Kanne Kaffee, setzte mich an den gewaltigen Holztisch und las eines der Heftchen, die im Wohnzimmer herumlagen. Die Lektüre war genauso ungewöhnlich wie die Einrichtung. Auf den Fotos zeigten meist beleibte Herren in altmodisch aussehender Uniform, wie hoch der Schnee lag. Andere Herren, die den Zeigern gegenüberstanden und zu ihnen hinaufblickten, zeigten ebenfalls, wie hoch der Schnee bei ihnen lag. Laut Bildunterschriften hießen die Herren Volksgenosse oder Kamerad. Einige wurden als PG bezeichnet, was vermutlich Party Goer hieß.
Bobby freute sich über meine Lektüre, als er ausgeschlafen und bester Laune in die Küche kam. „Baust mit an der neuen Welt, was?", wollte er wissen. Ich konnte nur stumm glotzen. Da prustete er los. „Komm, nimm deinen Kaffee. Wir gehen spazieren. Ist solch ein schöner Sonntagmorgen, dass wir ruhig draußen herumlaufen können.“
Er ging vor,
Weitere Kostenlose Bücher