Aasgeier
Gerechtigkeit eingeköchelt, das heftige Verlangen nach Blutrache hatte sich zu einem viel zivilisierteren Wunsch nach einer Pest, die ihn holen möge, zurückentwickelt. Sicher hatte Winston irgendwas auf dem Kasten; immerhin war er der Drogenboss, wenn die Geschichten stimmten, die ich über ihn hörte. So einer kann doch mit Links für Ausgleich sorgen.
Dienstag früh um halb acht stand ich in Ignacios Klause, wartete auf ihn, der noch einen schnellen Kaffee trank, und war um acht unterwegs durch die wellige Grassteppe zwischen der Küste und dem kalifornischen Mitteltal. Um elf kurvten wir aufs Flughafengelände im windigen, winzigen Wüstenkaff Mojave.
Ich war ja erst vor einigen Wochen hier gewesen, und damals war das Gelände schon recht vollgestellt mit Flugzeugen, die hier die Reiseflaute abwarteten. Inzwischen hatte sich ein Stau auf dem gewaltigen Gelände ergeben. Da standen jetzt Hunderte eingemottete Jets, gegen vom Wind aufgewirbelten Sand gesichert und durch die ewige Trockenheit und Sonne gegen Verfall geschützt.
Der Flughafen Mojave war bumsvoll mit Stehendem; Fliegendes war nur ein- und zweimotorig, privat und selten. Eine von der seltenen Sorte erkannte ich; die Zweimotorige, die scheinbar unabdingbarer Bestandteil von Winstons Drogenimperium war. Stand hitzeflimmernd vor der Flughafenkneipe, in der seine Tochter ihr Schulgeld verdiente.
Er war höflich. Wie am Telefon. Nur höflich, nicht umarmend oder wenigstens schulterklopfend herzlich wie sonst, sondern kühl. Wir setzten uns nicht. Als er uns kommen sah, stand er auf, legte einen Geldschein auf den Tisch und ging uns entgegen. Seine beiden Geier Cornell und Horace saßen in der Ecke und glotzten. Winston sagte „kommt mit“ und ging durch die Tür. Wir folgten ihm.
Wir gingen schweigend zum Flugzeug. Er machte die Gepäckraumklappe auf, holte zwei kleine Radiogeräte heraus, stellte beide auf verschiedene Musiksender und gab mir einen. Dann zeigte er uns mit einer Kopfbewegung, dass wir ihm folgen sollten. Er marschierte geradeaus über die Landebahn, ging über eine weitere Betonbahn, stapfte durch Sand und Gestrüpp, bis wir einige hundert Meter vom nächsten Gebäude waren. Dann fragte er, was er schon am Vortag wissen wollte; was ich vom Cop erfuhr und wie ich es erfahren hatte. „Bitte so exakt wie möglich.“ Er hörte schweigend zu, schaute gelegentlich Ignacio fragend an, der bestätigend nickte. Ich ging wirklich ins Detail. Dann bat er um die gleiche Akkuratesse beim Bericht über den Besuch Mistys.
„Also erst mal, Winston", begann ich, aber er schnitt mir das Wort ab. „Ich will hören, was gesagt und gezeigt wurde. Ich will genau wissen, wogegen ich mich nicht wehren sollte. Damit ich endlich weiß, was mir nicht nur zugetraut, sondern vorgeworfen wurde.“
Mir war das ja einerseits derart peinlich, dass ich da in der prallen Wüstensonne direkt errötete, andererseits wusste ich, dass Winston mich vermutlich beklaut hatte und unter Umständen noch Schlimmeres vorhatte oder schon in die Wege geleitet hatte. Ich war also in einer Situation, die ich um alles in der Welt vermeiden wollte. Aber das ging nun nicht mehr. Also erzählte ich. Alles. So, wie es sich zugetragen hatte.
„Und du hast das gesehen, hast die beiden angehört, hast überlegt, was in den letzten Wochen passiert ist und denen geglaubt.“ Er stellte keine Frage, sondern stellte fest. Ich überlegte einen Moment und bejahte dann. „Im Prinzip ja.“
„Was heißt im Prinzip. Entweder du glaubst es oder nicht".
„Stimmt. Ich habe das meiste geglaubt, weil es glaubwürdig war. Die Beweise sahen gut aus, obwohl Ignacio meinte, es seien Vermutungen. Aber wie kommt Rick dann an solch eindeutige Unterlagen? Was musste er denn glauben, als er das sah? Und Misty, die dich ja schon ewig kennt, die war hundertprozentig davon überzeugt.“
Er saß da und schaute auf den Boden. Ignacio fand irgendwas in der Ferne interessant, und ich wusste nicht, was ich mit meinen Händen machen sollte. Dann stand ich auf und ging ziellos in die Wüste, einfach weg von den Beiden.
„Jon", rief Winston. Ich drehte mich um. Ignacio und er standen da und schauten zu mir hin. Ich drehte also um und ging zu ihnen.
„Gebt mir eine Woche oder zwei. Lasst mir Zeit. Dann beweise ich euch, wenn ich das kann, dass ich dich und Misty nicht bestohlen habe. Dass ich unschuldig an dem bin, was euch passierte. Aber ich brauche Zeit dazu. Gebt ihr mir
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