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Aasgeier

Aasgeier

Titel: Aasgeier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter J. Kraus
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himmelangst. No Future. Ich musste dringend meine Angelegenheiten ordnen. Dringend.
     
    Erstmal ausnüchtern. Das war die Voraussetzung. Erstmal ein paar Tage easy, Kopf runter, irgendwo das Äußerliche wieder ins Lot bringen. Und dann nach Plan. Den ich nicht hatte, der sich aber ergeben würde. Erstmal zur Ruhe kommen. Ich war zu lange gelaufen, hatte nur von Tag zu Tag gelebt und war nur immer auf der Hut vor Überraschungen. Jetzt mussten Nägel mit Köpfen gemacht werden. Ich griff das dicke Bündel Geldscheine in der Hosentasche und fühlte mich gleich viel optimistischer. Würde schon werden.
     
    Mein Zeug war schnell gepackt, meinen Zimmerschlüssel warf ich auf Jose „Joe“ Hernandez´ Schreibtisch, und Marisol schrieb ich, dass ich überraschend weg musste. Ich steckte den Zettel durch den Briefschlitz in ihrer Haustür und ging aufs Schiff.
    Ich rief sie in der Bibliothek an. Sie hatte Schalterdienst. Als der Hörer abgenommen wurde, hörte ich schon den Lärm. Bibliotheken sind eine Ersatzheimat für Obdachlose. Da können sie sich in Polstersesseln ausruhen, im Klo waschen und im Dachgarten das Mitgebrachte verzehren. Wozu oft der Flachmann gehört. Dass es dann laut wird, ist ein Beiprodukt ihrer Anwesenheit. Und weil öffentlich, sind Büchereien für jeden zugänglich, also bleiben Drohungen wirkungslos. Weshalb besonders der Schalterdienst als Frontstellung gilt, als Nahkampflinie.
    „Ja?", brüllte sie in den Hörer. Schlechte Zeit für Neuigkeiten. Ich fragte sie trotzdem, ob sie nicht mit mir in den Süden fahren wolle. Sie knallte den Hörer auf die Gabel.
     
    Kurz vor sechs fuhr ich in die offene San Francisco Bucht. Das Kaff Pittsburg hatte ich kurz angelaufen um ein paar neue Fensterscheiben zu kaufen, hatte mir bei der Werft noch drei Gallonen Lack einpacken lassen, ein paar breite Pinsel dazu, eine große Rolle Draht und genügend Segeltuch, um meinem angeschlagenen Kreuzer zumindest aus der Ferne ein neues Profil zu geben. Dann fuhr ich die gleiche Strecke zurück, die ich erst vor wenigen Wochen hergefahren war.
     
    Ich rief sie zuhause an. Sie wusste schon, wer anrief, als sie sich meldete.
    „Ich bin´s. Leg nicht auf.“
    „Und warum?“
    „Weil ich dir etwas sagen muss, weil du in Gefahr bist und weil ich dich lieb habe,“ sprudelte es aus mir, weil ich Muffe hatte, dass sie doch wieder den Hörer draufknallt und sich mit irgendeinem Fluch von mir löst.
    „Habe ich gemerkt, wie du mich liebst. Als die Kugeln pfiffen, die dich vielleicht nicht überraschten, mich aber.“
    Ich war zerknirscht. Backte kleine Brötchen, entschuldigte mich dauernd, war die Reue in Person. Und dann, als sie sich etwas abgeregt hatte, musste ich ihr erzählen, was ich vom Macmillan erfahren hatte. Dass mich einer sucht, dass eine Belohnung auf mich ausgesetzt war, und dass sie deshalb in Gefahr schwebte.
    „So. Na, vielen Dank für die Neuigkeit.“ Solch eine Stimmlage nennt sich tonlos, glaube ich.
    „Schatz, ich kann doch nichts dafür. Ich habe...“
    Aber da keifte sie schon los. „Du kannst nie etwas dafür, stimmts? Du bist immer der Unschuldige, der Neuschnee, der, dem die ganze Welt Böses will. Du bist nur zu feige, dich und deine Umgebung ehrlich zu sehen. Du schwebst auf einer Wolke, mein Lieber. Und nochwas - ich wäre ohne zu überlegen mit dir bis ans Ende der Welt gegangen. Aber gestern bin ich zum Glück aufgewacht. Du bist ein Schlappschwanz. Und solche hatte ich genug in meinem Leben. Dich brauche ich nicht. Eher umgekehrt. Have a nice life“, flüsterte sie in den Hörer und legte auf. Ich rief sofort wieder an, aber sie ließ durchklingeln. Den Anrufbeantworter hatte sie wohl abgeschaltet. Ich gab es nach einer Weile auf. Morgen vielleicht. Morgen oder übermorgen.
     
    So eine Nacht auf dem Wasser ist eine Erfahrung, die auch die miserabelste Depression besiegt. Die Bucht war still, kaum noch Verkehr auf der breiten Fläche, die Kleinstädte am fernen Ufer zwinkerten bunt und die vielen Scheinwerfer und Rücklichter auf den Freeways waren zu weißen und roten Linien geworden. Der Diesel lief mit konstanter niedriger Drehzahl einschläfernd brummelnd, und ich richtete öfter den Blick auf die blitzblanken Sterne. Erst, als ich mich um Mitternacht San Francisco und Oakland näherte, verblassten sie. Ein Lichtschein umgab die benachbarten Großstädte, Neon verlieh dem ewigen leichten Nebel über der Bucht Ostereiglanz, Lichterketten umrahmten beide Brücken, die rostrote

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