Aasgeier
mied ich wie die Pest. Hatte Angst vor den Toten im Auto, die wegen mir starben, ich hatte Schiss vor Verfolgung durch die Endlosigkeit, fürchtete selbst die paar Viecher, die dort ein Auskommen fanden. Ich fuhr bis fast nach Bakersfield auf verkehrsarmer Straße, bog nach Norden ab und zielte auf das ferne Sacramento. Doch halbwegs dort überkamen mich Zweifel; was, wenn mir jemand folgte, was wäre, wenn sie mich dort oben abfingen? Dann waren mein Sohn und meine Freundin in Lebensgefahr, genauso todgeweiht wie ich, denn Zeugen jeden Alters können so einem wie Macmillan die ganze Fassade herunterreißen.
Dass Macmillan ohne stichfeste Beweise unangreifbar war, daran war nicht zu zweifeln. Ein FBI-Agent ist solange im Recht, wie er nicht mit der Hand in der Portokasse erwischt wird. Dem wird immer geglaubt. Vor Gericht wie von seinen Kollegen.
Wehe dem, der die Aufrichtigkeit des FBI-Mannes bezweifelt. Der wird fertiggemacht, der hat keinen ruhigen Augenblick mehr. Auf den schießen sich außer Bureau und Ortspolizei die Steuerfahnder, die Drogenpolizisten und die Sittenwächter ein. Garantiert. So einer kommt nicht mehr hoch.
Ich hatte also nichts zu lachen. Ignacio anrufen. In meiner Not hatte ich niemanden, dem ich mehr vertraute. Niemanden, der sich gegen die Bundespolizei-Patrioten wehren konnte. Also hielt ich irgendwo entlang der viel befahrenen Interstate 5 und rief schon wieder in San Miguel an. Ich schien ständig auf Ignacios Hilfe angewiesen zu sein.
Er hörte schweigend zu. Dann sagte er nur, ich solle ihn in einer Stunde wieder anrufen.
Ich ging in eine Fernfahrerkneipe, bestellte ein Steak und ließ die Hälfte auf dem Teller. Ich hatte Hunger, aber keinen Appetit. Der Magen war mir wie zugeschnürt, ich bekam nur wenige Bissen hinunter. Also fuhr ich zwanzig Meilen weiter und rief Ignacio an.
„Fahre zu unserem Freund, dem Papierfritzen. Der wartet zu Hause im Dorf auf dich.“
Ich hatte zwar starke Bedenken, denn Macmillan war doch erst kürzlich bei Bobby ein- und ausgegangen, aber ich tat natürlich, was Ignacio sagte. Ohne den wäre ich jetzt völlig verloren. Also fuhr ich auf Umwegen nach Cornwall, kam dort am Spätnachmittag an, stellte den Jeep in einem der Seitenwege ab und wartete im Wald auf Dunkelheit. Sobald die Sonne untergegangen war, wurde es empfindlich kühl. Ich ging bis zur Straße und schaute zu Bobbys Holzhütte. Im Fenster zur Straße hin brannte Licht. Ich joggte also am Haus vorbei, drehte hundert Meter weiter um und joggte zurück. Niemand, der im Auto saß oder auf einer Veranda Ausschau hielt. Ich kurvte vor Bobbys Bude in seine Garageneinfahrt, lief zur Seitentür und klopfte leise. Sofort wurde aufgemacht und Bobby zog mich in die warme Küche.
Wir tranken heiße Schokolade, die mir unglaublich guttat. Bobby ließ mich zur Ruhe kommen, fragte nicht, drängelte nicht. Er saß da, alt, abgeklärt, die in vielen Gefängnisjahren angesammelte Ruhe selbst, und ließ mich austrinken. Dann stand er auf, ging ins Wohnzimmer und kam mit zwei mächtigen Spliffs zurück. Er legte mit einen der Torpedos an den Tellerrand, zündete seinen an und tat einen tiefen Zug. Roch gut. Ich hatte schon ewig nicht mehr gekifft. Also schob ich mir meinen Joint unter die Nase und steckte ihn knisternd in Brand.
Wir saßen schweigend rauchend da, bis sich meine Verkrampfung löste. Die ersten Tropfen fielen noch sehr spärlich, doch dann öffneten sich die Schleusen. Ich heulte Rotz und Wasser.
Bobby setzte sich neben mich und hielt mich. Ich kam gar nicht mehr zur Ruhe. Heulte, was das Zeug hielt. Mein lieber Mann! Wenn das so weiterging, dachte ich mal kurz, dann hast du deinen Ruf als Heulsuse weg. Er holte Taschentücher, die ich auch dringend brauchte, denn jetzt lief die Nase, was das Schluchzen durch unschöne Hochziehgeräusche auflockerte. Scheiße! Ich blies, trötete in die Tücher, und siehe, alles hörte auf. Ich hatte mich abgeregt, war Furcht und Schock los, die mich den ganzen Tag über verwirrt hatten. Zurück blieb nur ein furchtbarer Zorn, trotz des herrlichen Ganja. Ein Zorn, der nur durch Rache gestillt werden konnte. Ich kannte mich nicht wieder. War doch so ein friedlicher Bürger, kein bisschen bösartig, aber der verdammte krumme Bulle musste dran glauben. Wenn es auch meine letzte Handlung war. Macmillans Tod war nun für mich das überragende Lebensziel.
Bobby wusste, was geschehen war. Ich erzählte ihm sehr ruhig die Geschichte meines gestrigen
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