Aasgeier
schon von Weitem ein übertriebenes Kreuz, worüber sich der Tisch lauthals freute. Ein ganz Verwegener meinte, das sei die Priesterversion der Luftgitarre. Die Stimmung wurde unbekümmert, was mein angeschlagenes Nervenkostüm für ein gutes Zeichen hielt.
"Du erinnerst dich an Cutberto?", wollte Ignacio statt einer Vorstellung wissen. Ich bejahte, obwohl der Dickbäuchige dem dürren Cowboytyp vor fünf Jahren, der mich damals preiswert mit modernster Drahtlostechnologie ausgerüstet hatte, kaum noch ähnelte. Ich murmelte also ein höfliches "Cutberto!" und streckte ihm die Pfote hin. Seine Freunde schauten auffallend weg, doch sie ließen mich keinen Moment aus den Augen. Mir wurde wieder blümerant. Ich reagierte aber auch auf die geringsten vermeintlichen Bedrohungen.
Der Rotwein war spitzenklasse, das halbe Schwein, das dampfend und knackig geröstet auf einem massiven Beistelltisch lag, roch verdammt verlockend, und Frau Gonzales hatte sich durch das Zurechtrücken ihrer weiblichen Reize auf die Kundschaft eingestellt. Als sie sich über einen der Gäste beugte, sah ich, dass sie ihrem ordentlichen Busen vermutlich wegen der Hitze freien Auslauf gelassen hatte. Was mich wieder daran erinnerte, dass ich seit geraumer Zeit unfreiwilliger Junggeselle war. Ich ging im Geiste meine Bekannten durch, aber es wollte mir keine einfallen, die ich hätte besuchen wollen. Oder dürfen. Dabei war ich in dieser Ecke Kaliforniens aufgewachsen und hatte hier als Radiorocker gearbeitet. Und hatte trotzdem nichts zu vögeln. Kann man mal sehen, wie beschissen einsam man im Grunde doch ist.
Ich tat mir leid. Blies Trübsal, während sich die Herren am Tisch über Ignacios Witze vor Lachen bogen und Frau Gonzales die Pracht reihum präsentierte. Sollte ich? Aber ich steckte schon tief genug in der Scheiße, ohne dass ich mir den Zorn des Gatten Gonzales noch auf den Hals laden wollte. Mein Gönner, immerhin. Also um Himmels willen nicht mit dem Pimmel dazwischenfunken.
Der Gangster Cutberto wurde immer blauer, immer lauter, und immer zutraulicher. "Eh, Radio, was ist mit deinen Freunden? Warum bist du allein hier? Ich denke, ihr seid die großen Hombres in Baja?"
"Die haben zu viel zu tun. Die können keinen Urlaub machen," log ich.
Ignacio beugte sich zum schwabbeligen Cutberto und flüsterte ihm was ins Ohr. Der kniff eines seiner roten Äuglein zu, legte den rechten Zeigefinger an die Nase und sprach "Ah!", schnappte sein Glas, hob es, nickte mir zu und trank aus. Ich tat ihm den Gefallen und hielt mit, was ihn offensichtlich freute. Er griff in seine Jackentasche und holte ein Handy heraus, warf es in meine Richtung – überrascht, konnte ich es mit Mühe auffangen – und rief, es sei noch mindestens einen Monat gut. Dann wandte er sich an seine Freunde und erzählte irgendwas Lustiges.
Na gut. Hatte mir Ignacio wieder ein Telefon besorgt, wieder ein geklautes, wieder vom gleichen Dieb. Deja vu.
Wir aßen uns satt, ich trank meine Flasche Wein leer, was mich in eine wunderschön lockere Stimmung versetzte, und viel zu früh brach mein katholischer Freund nach Süden, nach San Miguel auf. Ich hatte meinen Leihwagen dabei, wollte eigentlich die Nacht hier in der Nähe verbringen, aber Ignacio überredete mich, hinter ihm herzufahren und übernacht im Kloster zu bleiben.
Wir frühstückten nach der Frühmesse, die er zelebrierte und der ich natürlich fernblieb. Dass ich kein religiöser Mensch bin, wusste er schon lange. Ich schätzte sehr, dass er nicht versuchte, mich umzustimmen. Er schätzte, dass ich ihn nicht belog. Dass er, als ehemaliger Cop, sich nun so radikal umstellen konnte, das wunderte mich noch immer. Er hatte mir zwar erzählt, warum das für ihn nicht weiter schwierig gewesen sei – zu viele Geier in seinem Leben, zu oft hatte er schießen müssen, sich zu oft ducken – aber ich konnte mich nicht in seine Lage versetzen.
Bewundern musste ich sein Verhalten schon. Dass er nicht ängstlich war, hatte ich erster Hand erlebt, als er den verrückten Drogenbullen erschoss, der schon auf meinen Kopf zielte. Seit damals, seit er durch den Geheimgang unterm Kloster gelaufen war und durch die Schranktür seine Klause betrat, Knarre in der Hand und Entschlossenheit im Blick, seither habe ich nichts als Bewunderung und Dankbarkeit für ihn. Dass er nun auf jegliche Gewalt verzichtet, sogar auf die, die nötig ist, um Schaden von sich und anderen abzuwenden, das verstehe ich, obwohl ich
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