Aasgeier

gelegentlich Menschen, die noch schnell irgendwas im Garten oder vor der Haustür machten, ehe die Hitze wieder so lähmend wurde dass man nur im verdunkelten Zimmer sitzen konnte.
    „Der Doktor und ich haben seit Monaten schon den Verdacht, dass jemand in unserem Geschäft herumpfuscht, aber jetzt verdichtet sich der Verdacht zur Gewissheit", begann Winston seine Erzählung. „Ich muss ja nicht betonen, dass alles unter uns bleibt.“
    „Natürlich nicht.“ Freunde, immerhin.
    „Also. Ich würde dich ja nicht damit behelligen, aber ich bin überzeugt, dass der VanDeKamp seine Finger drin hat. Wir haben uns kürzlich unterhalten, als wir uns oben in der Wüste trafen.“ Ich sagte, dass ich mich erinnere. „Und weil du ihn ja lange genug kennst, wollte ich dich mal aushorchen.“
    „Sicher, kein Problem. Aber du weißt ja – Freunde waren wir nie, der Bulle und ich. Eher nicht.“
    Klar, nickte er. Sah bekümmert aus. Er schwieg, bis wir die Häuser hinter uns gelassen hatten und an einem verunkrauteten Feld vorbeispazierten, das außer ein paar rostigen Autowracks und einer vernachlässigten Baptistenkirche seit einer Ewigkeit nichts hervorgebracht hatte.
    „Doc Jeff und ich unterhalten doch seit langer Zeit ein hübsches, ruhiges Vertriebsnetz in der Gegend. Weißt du ja alles. Und als ich zuletzt da war habe ich dir erzählt, dass sich bei VanDeKamp auf dem alten Morenohof wieder Typen von früher eingefunden haben. Erst schien es, als sei das eine Art Klassentreffen, dass die sich vielleicht mal wieder sehen wollten und reminiszieren, aber inzwischen ist klar, dass sie sehr kräftig daran arbeiten, die alten Verbindungen wieder aufleben zu lassen. Was ja nicht schlimm wäre – dass jedes lukrative Geschäft Konkurrenz hat ist klar. Aber die gehen gezielt an unsere Abnehmer, unterbieten uns, liefern teilweise von dem neuen, genmanipulierten Supergrass, das wir grundsätzlich nicht anbieten, und versuchen alles, uns die eingefahrene Organisation abspenstig zu machen. Dagegen haben wir uns gewehrt, haben auch Preisnachlässe gegeben, Boni, haben alles getan, um mitzuhalten und die Gefahr abzuwenden. Aber am Freitag ist einer unserer ältesten, treuesten Wiederverkäufer erschossen aufgefunden worden. Der hatte dem Doc ein paar Tage zuvor erzählt, wie er bekniet wurde, uns fallen zu lassen und bei der Konkurrenz einzusteigen.“
    Er schaute mich prüfend an und wollte wissen, was denn mit mir los sei. Ich hatte natürlich sofort an den toten Dealer gedacht, der vor fast zwei Wochen Zorbians Hof zierte. Ich erzählte ihm also was in der Zeitung stand und nicht, dass ich Bobby und Zorbian kannte. Doc hatte ihm wohl auch berichtet, dass ein gewisser Jimmy Bones in San Luis County an Bleivergiftung starb. Man kennt sich im Gewerbe.
    „Na, erst mal weiter. Unser Kunde ist also tot, und einwandfrei auf geschäftsübliche Art. Großkaliber aufgesetzt ins Hirn, da fehlt der halbe Hinterkopf. So. Und weil das kein Ende nimmt, wenn es mal anfängt, bin ich gleich hergekommen. Ich will ganz sicher sein, dass der Verein vom VanDeKamp dahintersteckt, bevor was geschieht. Deshalb brauche ich dich.“
    „Klar, Winston. Wenn ich was weiß, sage ich´s. Kannst dich auf mich verlassen.“
    „Weiß ich. Erzähle mir, woran du dich erinnerst. Alles. Schulzeit, wie er als Bulle war, wie er sich verhielt, welche Freunde der hatte, alles.“
    Ganz ordentlich. Ich kannte VanDeKamp immerhin seit ich vier oder fünf Jahre alt war. Und wie viel vergisst man, wenn man jemanden nicht mag. Ist ja nicht so, dass man sich an alles erinnern würde. Im Gegenteil.
    „Egal. Erzähle, was immer dir einfällt.“
    Also erzählte ich. Winston hörte genau hin. Wie wir zusammen eingeschult wurden, wie sich der kleine VanDeKamp schon immer strikt an alle Regeln hielt, sich bei Autoritätspersonen beliebt machte, indem er uns der Reihe nach anschwärzte, wie er später Jüngere terrorisierte und Gleichgroße durch Erpressung bei der Stange hielt. Ein perfekter Cop war er schon als Erstklässler; wusste genau wo sein Vorteil lag, und er wusste wie er ihn erlangte. Später, als Jugendliche, kommandierten wir immer einen ab, der aufpassen musste wo VanDeKamp lauerte. Hätte der spitzgekriegt was da alles lief, säßen einige von uns noch immer im Loch. Irgendwoher stammt ja der Shit, den über die Hälfte aller Amischüler regelmäßig raucht. Jemand muss ja das Zeug züchten, ernten, präparieren, abwiegen und verpacken, anbieten und Nachschub