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Ab ins Bett!

Ab ins Bett!

Titel: Ab ins Bett! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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du jemanden verloren hast, an dem du sehr hingst. Es ist schwer. Und die Entscheidungen, die man für sein Leben getroffen hat, wie willst du die rückgängig machen? Als ich neulich Fernsehen guckte, erschienen zwei Worte auf dem Schirm, die genau aussprachen, was ich meine: Liebe schmerzt.«
    Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll, weshalb ich sage: »Das war wohl in der Talkshow mit diesem Pfarrer?«
    »Ja.«
    Und ich will meine Mutter schon wie üblich als dumm und albern abtun, als eine, die alles Schwierige in Platitüden auflöst, als ich ihr in die Augen gucke und die Verzweiflung darin sehe: Es sind die Augen eines Menschen in der Falle, und mir wird klar, daß sie in einer doppelten Falle steckt: ihrer Ehe und ihren Gedankengängen. Was sie sagt, mag abgestanden und unecht klingen und überhaupt keiner Logik folgen, trotzdem: Ihre Traurigkeit und Wut und ihr Unrechtsempfinden sind echt. Was soll sie denn tun, wenn nur solche Sätze in der Vorratskammer ihres Kopfes sind? Wie hätte sich Yeats wohl ausgedrückt, wäre er kein Dichter gewesen? Ich glaube, ich nehme Worte und was sie sagen können viel zu wichtig.
    »Du hast recht«, sage ich und lege meine Hand auf ihre Schulter — es ist der intensivste Körperkontakt, seit sie mich stillte —, »Liebe schmerzt.«
    Sie schmiegt ihr Kinn auf meine Hand. »Ich bin so müde, Gabriel. Es laugt einen so aus, ohne Gefühle zu leben. Dein Vater, er...«, sie verstummt.
    »Na, wenn die Wahl heißt, er oder die Hindenburg ... «
    Ich wollte einen Witz machen, aber sie guckt mich tiefernst an. Ihre Augen wandern in einem großen Bogen durch die mit Kiefernholz überladene Küche - eine der vielen Gaben Muttis, die festentschlossen war, ihr ganzes Geld loszuwerden, ehe sie starb. Schließlich schweift ihr Blick durch die Küchendurchreiche ins Wohnzimmer und bleibt auf dem hochgeschätzten Hindenburg-Modell haften, das sich obszön über dem Eßzimmertisch dreht.
    »Aber dein Vater hat recht, nicht wahr?« sagt sie und fixiert weiter die Hindenburg. »Sie ist explodiert.«
    »Mutter!«
    »Na, stimmt doch!« Plötzlich sehe ich etwas fest Entschlossenes in ihrem Gesicht. Wäre ich Therapeut, würde ich mir Sorgen machen, daß sie zu schnell Fortschritte macht. »Glaubst du mir nicht? Da, guck!«
    Sie wirft das Geschirrtuch hin und geht schnellen Schritts durch die Tür, das Messer vor sich hergestreckt wie eine Wechseljahre-Rächerin. Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache, und es wird auch nicht besser, als sie die Schürze hochklappt und auf einen der vier Stühle um den fürs Abendessen gedeckten Tisch steigt. Eine Weile sehe ich nur ihren kreisenden kastanienbraunen Hinterkopf, der den Bewegungen des großen fetten Zinnballons folgt. Ahnungslos schwankt er da durch die Luft wie eine Stopfgans auf ihrem letzten Flug.
    »Warte doch...«, sage ich schwach.
    Sie dreht den Kopf leicht, so daß ich ihr Profil sehe. »So, jetzt zeige ich dir, was passiert ist!« Mit einer Hand zieht sie die Kordel über der Hindenburg straff, und mit der andern durchbohrt sie ihn mit dem Brotmesser. Vielleicht ist es ja bloß meine eigene Panik, aber ich bilde mir ein, den Zeppelin für einen kurzen Moment in der Luft stehen zu sehen, wie Tom, nachdem er Jerry eine
    Klippe runtergestürzt hat, so als hätte Gott ihm einen »Et tu, Brutus?«-Moment gewährt. Dann kracht sie runter, nur diesmal nicht in die Gewässer der Hudson Bay, sondern mit der Nase voran in eine große Schüssel Schmo-Schmor.
    Jetzt wage ich mich durch die Küchentür ins Wohnzimmer, ducke mich aber, aus Angst, daß mich möglicherweise noch rumfliegende Hühnerbrocken ins Gesicht treffen: Ich bin nicht darauf trainiert, mit Krallenbomben umzugehen. Wie eine beleibte Schöpfkelle ragt das abgerundete Heck des Modells aus der Schüssel.
    »Jetzt ist er kaputt«, sage ich, ziehe das Glanzstück der Irene Jacoby-Hindenburgsammlung aus der Soße und kratze verschiedene Schmorstücke ab. »Jetzt kannst du sie nicht mehr verkaufen.«
    Oben von ihrem Stuhl guckt meine Mutter auf mich herab, ein Lächeln in ihrem soßenbespritzten Gesicht, und ich habe das Gefühl, daß sich dieser Akt trotzigen Aufbegehrens nicht nur gegen ihren Vater richtete, sondern auch gegen ihren Mann. Vielleicht war der verdammte Zeppelin letzten Endes ja doch ein phallisches Symbol.

24

    Klein Venedig heißt so, weil es kein klein bißchen wie Venedig ist: In der Stadt der Kanäle gibt es keine Hausboote, und man muß keine Scheuklappen

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