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Ab ins Bett!

Ab ins Bett!

Titel: Ab ins Bett! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baddiel
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tragen, damit man den Westway nicht sieht. Aber so ist London nun mal - trügerisch. Oft entdeckt man einen wirklich schönen Winkel, aber dann: Bitte Nicht Um Die Ecke Gucken, da lauert schon das nächste schreckliche urbane Ungeheuer. Greenwich klebt Rücken an Rücken mit Woolwich, Finsbury knallt direkt auf Hoxton, es gibt keine Puflferzonen, London läßt einem keine Sekunde Luft.
    Ich bin schon durch den Teil hindurch, den man als den hübschen, den venezianischen von Klein Venedig bezeichnen könnte: Ich brauchte ungefähr fünfzehn Sekunden dafür, und, vergessen Sie nicht, der Dolomite fährt jetzt nur noch siebzig, höchstens. Als ich den Kanal entlang zur Delamere Terrace tuckere, sehe ich rechts von mir das Wasser mit den vertäuten Booten (weniger als ein Stück weiter vorher), dahinter, am anderen Kanalufer, einen Block weißer, mit Stuck verzierter Häuser; zur Linken gucke ich auf die elefantösen, mit Graffiti überzogenen Stelzen der A40, die asphaltierten kleinen Fußballfelder darunter und die spontane Müllhalde daneben. Ich will gerade anhalten, weil ich das Gefühl habe, wenn ich noch einen Meter weiter fahre, lande ich womöglich in irgendeinem interplanetaren Schwarzen Loch, als ich ihn sehe, wie er auf dem Deck eines winzigen himmelblauen Schleppkahns hockt.
    »Nick!« schreie ich und kurbele das Fenster runter. Er guckt von irgendwas Pseudonautischem auf, mit dem er gerade beschäftigt ist, dem unnötig komplizierten Verknoten von einem überdimensional dicken Strick, und winkt mir zu. Er trägt eine Art
    Kulturrevolutions-Outfit, einen blauen Overall und eine Lokführermütze.
    Nach einigem Manövrieren habe ich mein Auto an dem Punkt geparkt, wo die Delamere Terrace sich zur Harrow Road runterneigt, sicherheitshalber, wer weiß, ob mein Dolomite das Bergaufanfahren noch schafft. Nicks Boot ist neben einer der Kanalbrücken vertäut, aber die Spätnachmittagssonne steht schon so tief, daß es komplett im Schatten der Brücke liegt. Ich gehe die in die Kanalwand gehauenen Stufen zum Treidelpfad hinunter. Es ist schon lang genug Sommer, daß das Wasser ziemlich faulig riecht, aber bei dem Gedanken an Nicks säuerlichen Abfall-Atem sage ich mir, daß er sich vielleicht deshalb hier zu Hause fühlt.
    »Tag!« sagt er, als ich näher komme, fummelt aber weiter an dem Strick herum. »Wie steht’s?«
    »Ganz gut«, sage ich. Ich bleibe unsicher auf dem Treidelpfad stehen, weiß nicht, ob ich den Sprung aufs Boot wagen soll oder lieber nicht. »Das ist also jetzt ...«
    Er guckt wieder von seinem Geknote hoch und lächelt. »Ja. Wanderlust.«
    »Was?«
    Er nickt zur Seite - backbord, steuerbord, was weiß ich: jedenfalls zu der Bootswand unterhalb des Steuers hin, wo der Schiffsname steht: Wanderlust. Nick hat es so ausgesprochen, als sei es kein deutsches Wort.
    »Es bedeutet >der Drang zu reisen<«, sagt er. Er sieht dünner aus als bei seinem Auszug vor drei Wochen, als ich ihn das letzte Mal sah, und irgendwie weniger verrückt, obwohl er, offenkundig, immer noch seine Meise hat. Aber er scheint mehr in seiner Verrücktheit zu ruhen als vorher.
    »Ich weiß.«
    »Das war der Grund, weshalb ich es gekauft habe. Für 9000 Pfund.«
    Ich nicke, als wäre es das Plausibelste der Welt.
    »Und, wie findest du’s?«
    Was ich finde: 9000 Pfund! Sieht aus, als hätte Wanderlusts früherer Kapitän dich gründlich reingelegt. Es ist ein winziger Kahn mit einem Holzaufbau plus Steuerposten (tut mir leid, ich kenn mich nicht aus im Seefahrtsvokabular) an einem Ende und einer Plane über dem Rest; in der Mitte ist eine Luke, die bestimmt zu irgendwelchen Kabinen unterhalb führt. Jedenfalls, als Nick mich neulich von Gott weiß woher anrief und sagte, er hätte eine Eingebung gehabt, er müßte sich ein Boot kaufen, hat wohl eher der nächstbeste skrupellose Bootsverkäufer eine glückliche Eingebung gehabt.
    »Sehr schön«, sage ich. Was ich damals einfach nicht fassen wollte, war natürlich nicht, daß Nick sich ein Boot kaufen wollte — Bootskauf, Geschlechtsumwandlung, eine Käsefabrik aufmachen, bei Prinzessin Margaret einziehen, ihm hätte alles einfallen können-, sondern daß er das Geld dafür hatte. Und auch noch 9000 Pfund! Wer hätte das gedacht? Nächstes Mal, wenn sich Ihnen an irgend’ner Ampel einer mit Eimer und Schwamm nähert, lassen Sie sich nicht einschüchtern: Entweder stoppen Sie ihn, ehe er die Scheibenwischer zurückgeklappt hat, oder Sie lassen ihn weitermachen, bis die Ampel

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