Ab ins Bett!
unserer Beziehung geworfen hätte, auszusetzen. Dina wollte ins Pub.
»Welches?« fragte ich benommen.
»Na, dein Pub. Deine Stammkneipe.«
Wieder schwebte mir die Zuflucht zum gesteppten Dinnerjackett vor Augen. Ich fürchte, meine Liebe, ich habe nicht den blaßesten Schimmer, wovon Sie reden.
»Ich habe keine Stammkneipe. Ich gehe nie ins Pub.«
»Du gehst nie ins Pub?«
»Ich bin Jude.«
»Kannst du es nicht mal sein lassen, das als Erklärung für alles zu benutzen!«
»Aber es erklärt alles!«
Insgeheim freute ich mich über diesen kleinen Streit - als Dina ankam, hing eine drückende Verlegenheit in der Luft; Blicke wollten sich nicht begegnen, Küsse waren unsicher, wo sie landen sollten, und ich rechnete schon jede Sekunde damit, daß die »Hör mal, wir haben einen Fehler gemacht«-Ansprache losginge. Aber plötzlich funkte es wieder zwischen uns, wenn auch im Streit. Und als Abstraktum vergönnte mir das Pub, was es in der Wirklichkeit nie tut: eine Verschnaufpause.
»Außerdem steht das Pub für alles, was verkehrt ist in diesem Land.«
»Wie kommst du denn auf die Idee?«
»Die drei schlimmsten Übel in diesem Land«, sagte ich und kuschelte mich behaglich in die Sicherheit des Streits - wenn ich ihn genug ausweite, dachte ich, könnte es mit ein bißchen Glück eine glatte Viertelstunde dauern, ehe wir uns wieder gegenübersäßen und nicht wüßten, was wir sagen sollen, »Gewalt, fürchterliches Essen und Sperrstunde um halb zwölf -, das alles sind Auswüchse einer Kultur, die im Pub wurzelt.«
Dina guckte mich unbeeindruckt an. In ihrem schwarzweiß gestreiften Röhrenkleid sah sie wie ein Zebrastreifen aus - irreführenderweise, denn sie war eindeutig keine, die auf sich herumtrampeln ließ.
»Hör auf damit, die Rückseite deiner einen Hand gegen die Innenseite deiner andern zu knallen« sagte sie. »Du hältst wohl gern Predigten, was?«
»Ich finde Pubs einfach öde. Ich trink noch nicht mal gern Bier.«
»Ach, sei doch nicht so’n Snob!«
»Ich dachte, das käme gut an, auf Sn... — ach, egal.«
»Wir könnten ja auch in ’ne Disko gehen.«
»Fantastische Idee — ein noch finsteres Loch als ein Pub, wo Housemusik aus der Hölle gespielt wird.«
»Mir gefällt die Musik.«
»Oh, Dina! Dann kannst du auch gleich nach ’ner Autoalarmsirene tanzen.«
Sie holte tief Luft. Mir wurde langsam klar, daß unser befreiender Streit die Seiten gewechselt und sich in ein gereiztes Gezanke verwandelt hatte. »Gabriel«, sagte Dina, »findest du, es ist überhaupt die Mühe wert, daß wir uns treffen? Wenn du dir mal ernsthaft anguckst, was wir gemeinsam haben? Natürlich abgesehen davon, daß meine Schwester deine Schwägerin ist, und dein Bruder mein Schwager.«
Blitzschnell waren wir von glattem Boden auf glitschigen geraten. Das kommt davon, wenn man sich so in seine eigenen dämlichen Meinungen verrennt. Der Ball landete mit einer Wucht in meinem Feld, als hätte ihn Jim Courier aufgeschlagen.
»Komm. Gehen wir ins Pub«, sagte ich und zog meine Jacke an.
Nach einem wirklich nur sehr kurzen »Ich weiß nicht, ob ich jetzt überhaupt noch Lust habe«-Geplänkel von Dina schafften wir es bis zur Haustür. Am Gartentor blieb ich einen Moment stehen und überlegte, aber in welches? In Kilburn gibt es tausend Pubs - mehr pro Quadratmeter als irgendwo sonst auf der Welt. Ich wußte einfach nicht, für welches ich mich entscheiden sollte, und, vielleicht noch wichtiger, in welchem man gefahrlos was trinken konnte. Biddy Mulligans, The Black Lion, Sir Colin Campbell, McGoverns, The Cole-Pitz — all diese Etablissements haben etwas gemeinsam, und das ist nicht das orangene Dekor. Ich wühlte gerade in meinen Taschen nach ein bißchen Kleingeld für den Fall, daß irgendwann im Lauf des Abends jemand seinen Hut rumgehen ließ, als ich es hörte. Das Wimmern.
»Was war das?« fragte ich.
»Was?« sagte Dina.
Wieder hörte ich es, ein ersticktes leises Weinen, eine ansteigende und dann abebbende Tonfolge, wie ein fernes und ziemlich dilettantisches Jodeln.
»Ist das Jezebel?« fragte Dina. Daß sie »Jezebel« sagte und nicht »deine Katze« hob auf der Stelle meine Stimmung. Wenn das kein Beweis dafür war, wie weit sie sich schon auf mein Leben eingelassen hatte!
»Nein. Es klingt zu kläglich.«
Ich sah mich um. Die vier funktionierenden Straßenlampen warfen in großen Abständen ihre Natrium-Strahlen auf die Stratley Road. Nichts. Nur ein paar Kids, deren Eltern kein Geld
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