Ab ins Bett!
entpuppt, war so ungefähr die schlechteste Karte, die ich ziehen konnte!« In ihrem Zorn klang sie plötzlich sehr amerikanisch. »Aber nein! Wieso hab ich mich nicht gleich mit Charles Manson zusammengetan!« Sie wippte wütend mit dem Kopf auf und ab, schaltete ihren Sarkasmus in den siebten Gang. »Da wären mir wenigstens plötzliche Verlobungen und Frösche, die aus meinem Essen hüpfen, erspart geblieben — und das hier jetzt, diese...«, sie suchte nach Worten, »...Nudisten- Endspiel -Aufführung in deinem Vorgarten, VON DEINEM WOHNGENOSSEN!«
»Dina...«
»Gabriel?« Das war Nicks Stimme, zumindest ein anämischer, hohler, irgendwie jenseitiger Abklatsch davon. Ich beugte mich über die Tonne, und er sah mit offenem Mund zu mir auf, wie ein Vogeljunges, das hungrig aus dem Ei schlüpft. Tränen strömten aus seinen Augen, Ergüsse seiner zerschmetterten Seele. Als er mich sah, schien sich in seinem Gedächtnis ein Schlüssel zu drehen: Er erkannte mich wieder, und ich sah die Überreste von ihm in seinen wäßrigen Pupillen herumschwimmen. Dann sagte er das Naheliegende, die herzerweichenden Worte:
»Hilf mir.«
So brachten wir Nick in die Notaufnahme. Einen an Geist und Seele Kranken brachten wir in die Notaufnahme. Ich wußte nicht, was ich sonst tun sollte. Die Männer in weißen Kitteln, die in den britischen Kinokomödien der 6oer angebraust kamen, sowie eine Person zu toben und zu wüten anfing, sie tauchten nicht auf. Ich wußte nicht, was ich sonst tun sollte.
Mir Nicks zusammenhangloses Gerede zusammenreimend, mit dem er begann, sowie wir ihn angezogen und in ein Minitaxi verfrachtet hatten — mein erster Gedanke war gewesen, einen Notarztwagen zu rufen, aber dann fand ich, daß Nick eigentlich doch kein Blaulicht- und Tragbahren-Notfall war (im Grunde ist er eher einer auf lange Sicht, nicht wahr?), und außerdem hatte ich keine Lust, vier oder fünf Stunden zu warten —, wurde mir klar, daß er beschlossen hatte, zu seiner Arbeit an den Windschutzscheiben zurückzukehren. Da es jedoch ein sonniger Tag war, sagte er sich, na, heute geh ich mal nackt ans Werk. Nach zwei oder drei größeren Unfällen an der Camden Road-Ampel kam die Polizei. Irgendwie - wie genau, ist nicht ganz klar, in Nicks Version spielten planetarische Einflüsse eine Rolle — gelang es ihm, zu entkommen, und seither hatte er sich in unserer Mülltonnne versteckt, überzeugt davon, daß die Polizei über ganz London ein Fangnetz nach ihm ausgeworfen hatte. Das war der Punkt, an dem der beschnurrbartete zypro-griechische Minitaxifahrer, der den Eindruck erweckt hatte, als hörte er gar nicht hin, anhielt und uns alle aufforderte, auszusteigen — »Scheißverdammte Durchgeknallte haben in meinem Auto nix zu suchen!« -, aber Dina, deren Zorn sich blitzschnell in, ich will es immer noch nicht fassen, mütterliche Sorge um Nick verwandelt hatte, schrie den Mann so laut an und zerrte so wild an den Holzperlenschnüren seines Sitzbezugs, daß er starr vor Schreck weiterfuhr.
Hier sind wir also, ich und Dina. Nick, der in einen wirklich beunruhigenden Zustand manischer Ruhe — ich weiß, ein unmögliches Paradox - gefallen ist, hat sich kurz verabschiedet, »um ein paar Anrufe zu machen«, wie er sagte. Und so setze ich mein Leben auf orangenen Plastikstühlen inmitten einer ganzen Phalanx davon fort, die gegenüber dem Notaufnahmeschreibtisch steht. Links von mir sitzt ein großer blonder Mann mit den Zickzackscherben einer Becks-Bierflasche in Gesicht und Hals; hinter uns wird gerade eine kleine, dicke, Schal tragende Frau mit einem blauen Auge und blutendem Mund von ihrem riesigen, rotgesichtigen Mann durch die Tür hereinbugsiert. Auf den anderen Stühlen sind Leute mit weniger sichtbaren Traumata verteilt, aber alle haben denselben traurigen In-der-Notaufnahme-sitzen-Ausdruck im Gesicht. Wir sind seit 23.30 Uhr hier. In meiner Hand halte ich die zerkrümelten Überreste des rosa Nummernzettels, den uns die Schwester bei der Ankunft gab. Sie wissen schon, diese Zettel, damit man sich nicht vordrängt, genau wie am Delikatessenstand im Supermarkt, außer daß sie hier wahrscheinlich mehr rohes Fleisch sehen. »43« steht auf dem Zettel. An der Wand rechts hinter dem Schreibtisch hängt der Nummern Wechsler — weiß der Teufel, wie das Ding genau heißt, jedenfalls steht es stur auf »38«. Und das schon seit siebenundsechzig Minuten.
Dina ist an meiner rechten Schulter eingeschlafen. Erstaunlich, aber es fühlt sich
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