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Ab jetzt ist Ruhe

Ab jetzt ist Ruhe

Titel: Ab jetzt ist Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Brasch
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schmaler Teppich, der vor meinem Bett lag, bis er fadenscheinig wurde und in einer gemeinen Nacht-und-Nebel-Aktion von irgendeinem mitleidlosen Mitglied meiner Familie entsorgt wurde.
     
    Die seltenen Besuche meiner Großeltern aus London waren ein Ereignis, denn Oma London verstand es fabelhaft, uns das Gefühl zu vermitteln, nicht sie würde uns besuchen, sondern umgekehrt.
    Gemeinsam mit Willy residierte sie meist in einem teuren Hotel im Zentrum der Stadt. Dort gab sie uns Audienzen, die stets nach einem von ihr festgelegten Protokoll abzulaufen hatten. Für gewöhnlich warteten meine Eltern und wir Kinder in der Hotelhalle, bis meine Großmutter und Willy dort erschienen, um von uns ins Restaurant eskortiert zu werden. Oma London begrüßte jedes Familienmitglied mit mondäner Gelassenheit und hauchte kultivierte Küsschen. »Ja schau, Sweetie!«, pflegte sie zu säuseln, wenn ich an der Reihe war. »Look at you, was bist du groß geworden!« Sprach’s, nahm mein Gesicht zwischen ihre kühlen Hände und küsste mich auf die Stirn, während ich ihren kostbaren Duft aufsog. Sie roch gut. Nach erlesenem Parfüm und weiter Welt.
    Die Betriebstemperatur von Willy lag um einiges höher als die meiner Oma. »Servus, Kleines!« Er grinste breit und nahm mich in den Arm. Und er war es auch, der mich während des endlos langen Aufenthalts im Hotelrestaurant mehrfach vor dem Tod durch Langeweile rettete.
    Willy hatte immer einen Skizzenblock und Stifte dabei und zeichnete mir alles, was ich wollte. Hunde und Katzen, Kellner mit spitzen Gesichtern und Damen mit komischen Hütchen, das Essen auf dem Tisch, die gelangweilten Gesichter meiner Brüder und verschiedenartige Affen.
    Die Zeit im Restaurant verging, bis Oma London irgendwann dem Kellner mit einer gnadenvollen Geste bedeutete, er möge die Rechnung bringen. Die Gesichter meiner Brüder entkrampften sich, in die Augen meines Vaters kehrte das Leben zurück, und meine Mutter schaute dankbar ins Nichts. Endlich war es vorbei, und auf die zähen Stunden im Restaurant folgte nun die Übergabe der Geschenke in der Hotelsuite. Für meine Brüder und mich waren das paradiesische Momente. Ich bekam Schokolade und Bengo-Sachen, für meine Brüder gab es die obligatorischen Levi’s, für meinen Vater Orangenmarmelade, Zigaretten und Ingwerstäbchen, und meine Mutter nahm traditionell die nach Mottenkugeln riechenden samtenen Morgenmäntel und seidenen Nachthemden in Empfang, für die meine Oma keine Verwendung mehr hatte. Meine Mutter war eine stolze Frau und verzog keine Miene. Mit einer fast beiläufigen Geste und einem kühlen »Danke, Mama« nahm sie die Sachen entgegen und legte sie sofort beiseite, während sie sich angeregt mit Willy unterhielt. Die Demütigung schien sie nicht nur zu verfehlen, sondern wurde von ihr postwendend an die Absenderin zurückgeschickt. Meine Mutter war ganz die Tochter der ihren. »Ich liebe sie«, sagte meine Mutter einmal. »Doch ich friere, wenn sie da ist.«

Zwei
    » W as wolltest du eigentlich mal werden, als du klein warst, Papa?«
    Mein Vater saß im Wohnzimmer, las Zeitung und rauchte. Nachdem ich meine Frage gestellt hatte, schlug er die Zeitung zusammen, legte sie beiseite und sah mich mit diesem Blick an, den ich nicht leiden konnte. Ein Blick, der mir verhieß, dass er mich in den nächsten Minuten mit Sätzen langweilen würde, die ich nicht verstand. Ich bereute schon, diese Frage gestellt zu haben, als dieser Blick plötzlich ganz fern und weich wurde. So, als hätte ihm irgendjemand etwas ins Ohr geflüstert, das einen sofortigen Sinneswandel zur Folge hatte.
    »Priester«, sagte er. »Ich wollte Priester werden.«
    Mir fiel sofort der mundstinkende Pfaffe von Oma Potsdam ein, und ich musste einen Würgereflex unterdrücken.
    »Wir glauben doch aber gar nicht an Gott, oder?«
    »Nein.«
    »Warum wolltest du dann so was werden?«
    »Weil ich da noch an Gott geglaubt habe.«
    »Und warum jetzt nicht mehr?«
    »Das ist eine lange Geschichte.«
    Und er erzählte mir, wie er und sein Gott mit einem jüdischen Kindertransport nach England kamen. Sie wurden in einem muffigen, engen katholischen Kinderheim untergebracht, das von einer schwammigen ältlichen Irin geleitet wurde. Sister Margaret war immer schlecht gelaunt und ließ keine Gelegenheit aus, meinem Vater klarzumachen, dass er hier nur geduldet sei. Er war mit sechzehn Jahren der älteste Junge in diesem Heim, was sie gnadenlos ausnutzte, indem sie ihn zu jeder noch so

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