Abaddons Tor: Roman (German Edition)
mit Bull ab. Ihre Miene war leer, was dahinter vorging, konnte man nicht erkennen.
»Wir schicken Hilfe, also setzt euch an der Zugangsluke der Kommandoebene fest und wartet auf …« Er hielt inne. Holden konnte hören, dass jemand mit Bull sprach, doch die Worte waren zu leise, um sie zu verstehen. Es klang nach Naomi.
»Was ist los?«, fragte Holden. Bull antwortete nicht, denn auf seiner Seite begann gerade eine zunehmend hitzige Diskussion, die mehrere Minuten anhielt. Bulls Antworten waren Fragmente, mit denen Holden ohne Kontext nichts anfangen konnte. Er wartete ungeduldig.
»Also, wir haben jetzt ein neues Problem«, sagte Bull schließlich.
»Größer als das Problem, dass wir nicht auf die Brücke kommen, ohne zu sterben?«
»Und ob«, bestätigte Bull. Holdens Magen stürzte ab. »Im Gang vor der Brücke hat Naomi die Bilder einer Überwachungskamera aufgefangen, die unsere Gegner übersehen haben. Gerade eben haben vier Leute in motorgetriebenen Rüstungen das Kommandodeck verlassen. Es sind die Rüstungen, die wir den Marsianern abgenommen haben. Verfolgen können wir sie nicht, aber ich habe eine Ahnung, wohin sie wollen.«
Es gab nur einen Ort, zu dem Ashford eine so schlagkräftige Truppe schicken würde. Das Maschinendeck.
»Verschwindet da«, sagte Holden. Seine Stimme klang panischer, als es ihm lieb war. »Geht sofort da raus.«
Bull kicherte. Es war ein sehr beunruhigendes Geräusch. »Oh, mein Freund, das wird für Sie ein Problem, ehe es eins für uns wird.«
Holden wartete. Corin deutete mit den Händen ein Achselzucken an und stieg in den Aufzug, um die obere Luke zu öffnen. Dort musste sie nichts aufschneiden, denn die Klappe war von innen versperrt.
»Es gibt nur drei Wege, um zu uns zu kommen«, fuhr Bull fort. »Sie können durch die Walze vorstoßen, aber das wäre etwas chaotisch. Der Wartungsschacht auf der anderen Seite der Walze ist nicht zugänglich, solange sie rotiert. Somit bleibt nur noch eine Möglichkeit, auf diesem Monstrum nach Süden zu gehen.«
»Direkt bei uns vorbei«, entgegnete Holden.
»Genau. Was soll ich sagen? Ihr Auftrag hat sich soeben verändert.«
»Hinhaltetaktik«, bestätigte Corin.
»Die Dame bekommt einen lobenden Vermerk. Möglicherweise können wir immer noch siegen, wenn wir Naomi ein wenig mehr Zeit erkaufen. Das ist jetzt Ihre Aufgabe.«
»Bull«, entgegnete Holden. »Wir sind zu zweit und haben leichte Sturmgewehre und Handfeuerwaffen. Diese Leute tragen verstärkte Kampfpanzerungen. Ich habe mal aus der Nähe jemanden mit dieser Ausrüstung kämpfen sehen. Für sie sind wir keine Verzögerung. Wir sind ein rosa Dunstschleier, durch den sie mit voller Geschwindigkeit durchmarschieren.«
»Immer mit der Ruhe. Ich bin kein Idiot. Ich habe die Munition aus den Anzügen entfernt und außerdem die Feuerkontakte der Waffen ausgebaut.«
»Das ist gut zu wissen, aber können sie uns nicht einfach sämtliche Gliedmaßen ausreißen?«
»Ja«, bestätigte Bull. »Also lassen Sie sich nicht von ihnen packen, wenn Sie es vermeiden können. Erkaufen Sie uns so viel Zeit wie irgend möglich. Bull Ende.«
Holden blickte Corin an, die seinen Blick erwiderte. Auch jetzt verriet das breite Gesicht nicht, was die Frau bewegte. Sein Herz schlug dreimal so schnell wie gewöhnlich, und alles war schmerzhaft grell. Es war, als sei er gerade erst aufgewacht.
Er würde sterben.
»Dann richten wir uns mal für den Untergang ein«, sagte er möglichst gleichmütig.
»Eine bessere Stelle finden wir nicht.« Sie deutete auf die geräumige, stabil aussehende Aufzugkabine. »Wenn wir die obere Luke als Abschirmung benutzen, müssen sie ohne jede Deckung vorstoßen, und ohne Waffen müssen sie herankommen und sich auf den Nahkampf verlegen. Wir können sie mit Kugeln eindecken, während sie sich nähern.«
»Corin«, erwiderte Holden, »haben Sie schon mal einen dieser Anzüge in Aktion gesehen?«
»Nein. Ändert das etwas an dem, was wir hier tun müssen?«
Er zögerte.
»Nein. Es ändert wohl nichts.« Damit nahm er das Sturmgewehr vom Rücken und ließ es links neben sich schweben. Als Nächstes überprüfte er die Munition. Die sechs Magazine, die er ins Bandelier gesteckt hatte, waren noch da.
Nun konnten sie nur noch warten.
Corin fand neben der Luke eine Stelle, wo sie einen Fuß hinter einen Handgriff klemmen konnte. Unter Schub hätte sich dort die Seitenwand befunden. Sie richtete sich ein und starrte durch ihr Visier in den Aufzugschacht.
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