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Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Titel: Abaddons Tor: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
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Holden versuchte, es ihr gleichzutun, hielt es aber nicht lange aus und bewegte sich nervös hin und her.
    »Naomi?« Er rief sie über den privaten Kanal und hoffte, sie hätte noch nicht abgeschaltet.
    »Ich bin da«, antwortete sie nach ein paar Sekunden.
    Holden wollte etwas sagen, dann hielt er inne. Alles, was ihm in den Sinn kam, schien ihm banal. Beinahe hätte er gesagt, dass er sie schon seit ihrer ersten Begegnung liebte, aber das war lächerlich. Damals hatte er Naomi kaum bemerkt. Sie war eine große, dürre Ingenieurin gewesen. Als er sie besser kennengelernt hatte, war sie eine große, dürre und brillante Ingenieurin gewesen, aber mehr auch nicht. Vielleicht wären sie mit der Zeit Freunde geworden, doch im Grunde konnte er sich kaum an den Menschen erinnern, der er selbst auf der Canterbury gewesen war.
    Jeder hatte durch das Protomolekül irgendetwas verloren. Die Menschheit als Ganzes hatte das Gefühl der eigenen Wichtigkeit verloren. Den Glauben, sie spielte im universellen Plan eine bedeutende Rolle.
    Holden hatte seine Sicherheit verloren.
    Wenn er an den Mann dachte, der er vor der Vernichtung der Canterbury gewesen war, dann erinnerte er sich an einen Mann, der voll selbstgerechter Gewissheit gewesen war. Richtig war richtig, falsch war falsch, und hier und dort musste man Grenzen ziehen. Die Begegnung mit Miller hatte ihm einen Teil davon ausgetrieben. Die Zeit als Handlanger für Fred Johnson hatte den Rest beseitigt oder mindestens stark abgeschliffen. Stattdessen war ein schleichender Nihilismus in ihm aufgekeimt. Das Protomolekül hatte die Menschheit entsetzlich gedemütigt. Sie hatte einen zwei Milliarden Jahre langen Aufschub für ein Todesurteil genossen, von dessen Existenz niemand gewusst hatte, aber jetzt war die Zeit abgelaufen. Nun konnte man nur noch strampeln und kreischen.
    Seltsamerweise hatte ausgerechnet Miller seinem Leben wieder einen Sinn gegeben – oder die Konstruktion, die sich für Miller ausgab. An die Version seiner selbst, die genau wusste, wo man jeweils die Grenzen ziehen musste, konnte er sich kaum noch erinnern. Es gab nicht mehr viele Gewissheiten. Doch was auch immer von der Venus aufgestiegen war und den Ring gebaut hatte, es hatte auch den neuen Miller erschaffen.
    Es wollte reden. Mit ihm.
    Vielleicht war es auch nicht so wichtig. Der neue Miller redete dummes Zeug. Das Protomolekül hatte einen Plan und erklärte sich nicht, es bereute weder das angerichtete Chaos noch die Toten, für die es verantwortlich war.
    Aber es wollte reden. Und zwar mit ihm. Holden hatte das Gefühl, eine Rettungsleine entdeckt zu haben. Vielleicht gab es einen Ausweg aus dem Durcheinander, und vielleicht konnte er dabei helfen, ihn zu finden. Die Vorstellung, das Protomolekül oder sein Agent Miller habe ihn als Kontaktperson ausgewählt, nährte natürlich seine Überheblichkeit und Selbstüberschätzung. Das war allerdings immer noch besser als die Verzweiflung.
    Und jetzt, da er gerade eben verschwommen einen Ausweg aus dem Abgrund wahrnahm, den das Protomolekül aufgerissen hatte und in den sich die Menschheit mit selbstzerstörerischer Leidenschaft gestürzt hatte, würde er durch einen lächerlichen Kerl umkommen, der mehr Macht als Verstand besaß. Das war unfair. Er wollte überleben und sehen, wie die Menschheit sich wieder fing, er wollte ein Teil davon sein. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte er das Gefühl, er könne sich in einen Mann verwandeln, der etwas bewirken konnte.
    Außerdem wollte er all dies Naomi erklären. Er wollte ihr sagen, dass er ein besserer Mensch wurde. Die Sorte Mann, die in ihr schon vor Jahren mehr als nur eine gute Ingenieurin gesehen hätte. Als ob er, wenn er jetzt ein anderer wurde, rückwirkend den oberflächlichen und eitlen Kerl kurieren konnte, der er damals gewesen war. Als würde er ihrer dann endlich würdig.
    »Ich mag dich«, sagte er nur.
    »Jim«, antwortete sie nach einem Augenblick mit belegter Stimme.
    »Ich habe deine Gesellschaft genossen. Auch als du nur eine Ingenieurin und eine Kollegin auf dem Schiff warst, mochte ich dich.«
    Es zischte leise im Funk. Holden stellte sich vor, wie Naomi sich in sich selbst zurückzog und die Haare vor die Augen fallen ließ, wie sie es immer tat, wenn sie sich in einer unbehaglichen emotionalen Situation befand. Natürlich war das albern. Da es keine Schwerkraft gab, konnten ihre Haare nicht herunterfallen. Trotzdem musste er lächeln, als er es sich vorstellte.
    »Danke«,

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