Abaddons Tor: Roman (German Edition)
ihren Teller. Ihre Miene schwankte zwischen Verlegenheit und Gereiztheit.
»Das ist keine gute Idee«, warf Holden ein.
»Kapitän, mir ist klar, dass es heikle Themen gibt, über die Sie und Ihre Crew nicht gern reden, aber wir haben eine Abmachung. Und bei allem Respekt, Sie haben mich und meine Leute behandelt, als seien wir nicht willkommen.«
Das Essen auf dem Tisch wurde kalt. Bisher hatte es ohnehin kaum jemand angerührt. »Ich verstehe. Sie haben Ihren Teil der Abmachung eingehalten und uns aus Ceres befreit«, sagte Holden. »Sie haben uns außerdem Geld gegeben. Wir haben unseren Teil nicht erfüllt. Ich verstehe. Morgen werde ich schon mal eine Stunde für Sie reservieren. Reicht Ihnen das?«
»Sicher«, willigte sie ein. »Lassen Sie uns essen.«
»Baltimore, ja?«, sagte Clip zu Amos. »Sind Sie ein Footballfan?«
Amos schwieg sich aus, und Clip hakte nicht weiter nach.
Nach dem unbehaglichen Essen wollte Holden nur noch ins Bett schlüpfen. Während er auf dem Lokus war und sich die Zähne putzte, schlurfte Alex herbei und sagte: »Komm doch zu uns in die Operationszentrale, Käpt’n. Wir müssen was bereden.«
Holden folgte ihm und stellte fest, dass Amos und Naomi schon auf ihn warteten. Naomi hatte sich angelehnt und die Hände hinter dem Kopf verschränkt, Amos saß auf der Kante einer Druckliege, hatte die Füße auf den Boden gepflanzt und die Hände zu Fäusten geballt. Er kochte immer noch.
»Also, Jim«, begann Alex. Er ging zu einer anderen Druckliege und ließ sich darauf nieder. »Das war kein guter Anfang.«
»Sie hat sich über uns schlaugemacht«, sagte Amos zu niemand im Besonderen, den Blick immer noch auf den Boden geheftet. »Sie weiß Sachen, die sie nicht wissen dürfte.«
Holden war bekannt, was Amos meinte. Monicas Anspielung auf Baltimore bezog sich auf Amos’ Kindheit als Produkt einer besonders hässlichen Art von illegaler Prostitution. Holden durfte jedoch nicht zugeben, dass er Bescheid wusste. Er hatte es einer zufällig belauschten Unterhaltung entnommen und kein Interesse daran, Amos noch weiter zu demütigen.
»Sie ist Journalistin und recherchiert gründlich«, meinte er.
»Sie ist mehr als das«, ergänzte Naomi. »Sie ist angenehm, charmant und freundlich, und jeder auf dem Schiff will sie ins Herz schließen.«
»Ist das ein Problem?«, fragte Holden.
»Und ob das ein verdammtes Problem ist«, schimpfte Amos.
»Jim, ich war aus einem bestimmten Grund auf der Canterbury «, ergänzte Alex. Sein Akzent aus dem Mariner Valley klang nicht mehr albern, sondern nur noch traurig. »Ich mag es nicht, wenn jemand die Leichen aus meinem Keller holt und zum Lüften nach draußen stellt.«
Die Canterbury war der Eisfrachter, auf dem sie alle zusammen vor dem Eros-Zwischenfall Dienst getan hatten. Es war ein primitives Schiff für eine Besatzung gewesen, die sich mit Frachtflügen über Wasser hielt. Auf solchen Posten heuerten Leute an, die an verschiedenen Stellen versagt hatten oder die Zeugnisse, die bei besseren Jobs verlangt wurden, nicht vorlegen konnten. Seine eigene Akte wurde beispielsweise durch die unehrenhafte Entlassung aus dem Militärdienst befleckt. Nachdem er einige Jahre lang mit seiner kleinen Crew zusammengearbeitet hatte, wusste er, dass bei keinem von ihnen Unfähigkeit der Grund gewesen war, auf dem Eisfrachter anzuheuern.
»Ich weiß«, stimmte er zu.
»Das gilt auch für mich, Käpt’n«, ergänzte Amos. »Ich habe eine Menge durchgemacht.«
»Ich auch«, pflichtete Naomi ihm bei.
Holden wollte antworten und hielt inne, als ihm bewusst wurde, was ihre Worte bedeuteten. Irgendetwas in Naomis Vergangenheit hatte sie dazu getrieben, den ruhmreichen Posten als Mechanikerin auf der Canterbury anzutreten. Natürlich war das keineswegs überraschend, Holden hatte es jedoch vorgezogen, nicht weiter über das Offensichtliche nachzudenken. Sie war so ziemlich die begabteste Ingenieurin, die er je gesehen hatte. Er wusste, dass sie Diplome von zwei Universitäten besaß und die dreijährige Flugausbildung in zwei Jahren abgeschlossen hatte. Sie hatte eine großartige Offizierskarriere vor sich gehabt, aber dann war irgendetwas geschehen. Sie hatte nie darüber geredet. Mit gerunzelter Stirn blickte er sie fragend an, worauf sie leicht den Kopf schüttelte.
Wie zerbrechlich ihre kleine Familie doch war. Die Wege, die sie zusammengeführt hatten, waren so verschlungen und unberechenbar gewesen, dass man es sich kaum auszumalen vermochte.
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