Abaddons Tor: Roman (German Edition)
Ebenso leicht konnte sie das Universum wieder auseinanderreißen. Er fühlte sich klein, verletzlich und ein wenig trotzig.
»Wisst ihr alle noch, warum wir das getan haben?«, fragte Holden. »Wegen der Sperre? Weil Mars hinter der Rosinante her ist?«
»Uns blieb nichts anderes übrig«, meinte Naomi. »Das wissen wir. Wir waren alle einverstanden, den Job zu übernehmen.«
Amos nickte zustimmend. Alex sagte: »Niemand behauptet, dass wir den Job nicht hätten übernehmen dürfen. Wir finden nur, dass du der Anführer der Truppe bist.«
»Genau«, bekräftigte Naomi. »Du musst so interessant sein, dass die Dokumentarfilmer uns völlig vergessen. Das ist für den Rest des Fluges deine Aufgabe. Es ist die einzige Art und Weise, wie es funktioniert.«
»Nein«, widersprach Amos, der immer noch nicht den Kopf gehoben hatte. »Es gibt noch einen anderen Weg, aber ich habe noch nie einen Blinden durch die Luftschleuse geworfen. Ich weiß nicht, wie ich mich dabei fühlen würde. Vielleicht macht es gar keinen Spaß.«
»Na schön.« Holden wedelte beschwichtigend mit beiden Händen. »Ich hab’s verstanden. Ich sorge dafür, dass ihr so weit wie möglich von den Kameras verschont bleibt, aber es ist eine lange Reise. Seid geduldig. Wenn wir den Ring erreichen, haben sie vielleicht genug von uns, und wir können sie auf ein anderes Schiff abschieben.«
Sie schwiegen eine Weile, dann schüttelte Alex den Kopf.
»Tja«, sagte er. »Ich glaube, wir haben soeben den einzigen Grund gefunden, warum ich mich freue, dort anzukommen.«
Holden fuhr erschrocken auf und rieb sich heftig die juckende Nase. Irgendeine halb verdaute Erinnerung sagte ihm, gerade habe etwas versucht, dort hineinzukriechen. Auf dem Schiff gab es natürlich keine Insekten, also war es ein Traum. Das Jucken war allerdings sehr real.
Als er sich kratzte, sagte er: »Tut mir leid, ich hatte wohl einen Albtraum.« Er tätschelte das leere Bett neben sich. Anscheinend war Naomi im Bad. Schließlich atmete er mehrmals durch die Nase tief ein und wieder aus und versuchte, das Jucken loszuwerden. Beim dritten Ausatmen flog ein blaues Glühwürmchen heraus und huschte davon. Holden bemerkte einen Essiggeruch.
»Wir müssen reden«, sagte eine vertraute Stimme in der Dunkelheit.
Es schnürte Holden die Kehle zu, sein Herz raste. Er zog sich ein Kissen über das Gesicht und unterdrückte einen Schrei, der ebenso aus Frustration wie aus Wut und der altvertrauten Angst geboren war, die ihm aufs Herz drückte.
»Also, da war dieser Grünschnabel«, begann Miller. »Ein guter Junge. Sie hätten ihn gehasst.«
»Diesen Mist halte ich nicht mehr aus.« Holden riss sich das Kissen vom Gesicht und warf es in die Richtung, aus der Millers Stimme kam. Es klatschte neben dem Bett an die Wand, worauf sich die Raumbeleuchtung einschaltete. Miller stand an der Tür, neben ihm lag das Kissen. Er trug den gleichen zerknitterten Anzug und den schweinsledernen Hut wie immer und zuckte nervös, als hätte er einen juckenden Ausschlag.
»Er hat nie kapiert, wie man einen Raum sichern muss, verstehen Sie?«, fuhr Miller fort. Seine Lippen waren schwarz. »Man muss auf die Ecken und Türen achten. Ich habe versucht, es ihm zu zeigen. Immer auf die Ecken und Türen achten.«
Holden griff nach dem Com, um Naomi zu rufen, dann hielt er inne. Er wollte sie bei sich haben, damit der Geist verschwand, wie es bislang jedes Mal geschehen war. Zugleich fürchtete er, dass es jetzt anders laufen würde.
»Hören Sie, Sie müssen den Raum verlassen«, sagte Miller und verzog verwirrt und aufgeregt das Gesicht wie ein Mann im Drogenrausch, der sich unbedingt an etwas erinnern wollte. »Wenn Sie nicht den Raum verlassen, dann wird Sie der Raum fressen.«
»Was wollen Sie von mir?«, fragte Holden. »Warum zwingen Sie mich, dorthin zu fliegen?«
Jetzt wirkte Miller sehr gereizt.
»Zum Teufel, hören Sie mir nicht zu? Wenn Sie einen Raum voller Knochen sehen, dann wissen Sie doch, dass da jemand umgekommen ist. Sie sind das Raubtier, bis Sie die Beute sind.« Er hielt inne, starrte Holden an und wartete auf eine Antwort. Als Holden sich nicht rührte, trat Miller einen Schritt näher ans Bett. Irgendetwas in seiner Miene erinnerte Holden an die Situationen, in denen der Cop Menschen erschossen hatte. Er öffnete einen Schrank neben dem Bett und zog seine Handfeuerwaffe heraus.
»Kommen Sie ja nicht näher«, sagte Holden, ohne direkt auf Miller zu zielen. »Andererseits frage ich
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