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Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Titel: Abaddons Tor: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
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Bull bemerkte, dass Corin anzüglich wurde, wenn sie müde war. Seiner Erfahrung nach reagierte jeder Mensch auf Überforderung anders. Manche wurden wütend und gereizt, manche traurig. Im Grunde lief es immer auf einen Abbau von Hemmungen hinaus. Wenn die Fassade durch zu viel Arbeit oder Furcht oder beides abgeschliffen wurde, kam das zum Vorschein, was darunter lauerte.
    »Alles klar«, sagte Bull. »Ihr zwei könnt euch jetzt ausruhen. Ich halte die Stellung, bis die anderen wieder da sind. Ihr zwei habt mehr getan als …«
    Das Pult in der Wache zirpte. Die Verbindungsanfrage kam von Sam. Bull gab Serge und Corin mit erhobenem Finger ein Zeichen und schwebte zum Schreibtisch.
    »Sam?«, meldete er sich.
    »Bull«, antwortete sie. Die einzelne Silbe, knapp und scharf ausgesprochen, verriet ihm, wie wütend sie war und wie kurz sie vor einem Ausbruch stand. »Sie müssen herkommen.«
    »Sie können anrufen, wen immer Sie wollen«, rief ein Mann im Hintergrund. »Das ist mir egal, verstehen Sie? Es ist mir völlig egal. Machen Sie doch, was Sie wollen.«
    Bull überprüfte den Ursprung der Verbindung. Es war unten in der Nähe der Werkstätten.
    »Sollte ich eine Schusswaffe mitbringen?«, fragte Bull.
    »Ich werde Sie nicht davon abhalten, Süßer«, antwortete Sam.
    »Bin schon unterwegs.« Er unterbrach die Verbindung.
    »Du gehst schlafen«, sagte Corin zu Serge. »Du bist schon länger im Einsatz. Ich sorge dafür, dass hier nichts anbrennt.«
    »Kommen Sie damit klar?«, fragte Serge. Bull brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass der Mann mit ihm redete.
    »Ich bin unbesiegbar.« Bull meinte es beinahe ernst.
    Unter null G erschöpft zu sein fühlte sich anders an als die Müdigkeit unter Schub oder unten in einer Schwerkraftsenke. In seiner Jugend war Bull ziemlich oft hundemüde gewesen und kannte das schwere Gefühl, wenn die Muskeln wie bei einem weich gekochten Hühnchen von den Knochen zu fallen drohten. Er wusste, was eine unermessliche Müdigkeit war. Inzwischen hatte er mehr Jahre jenseits der Erde als auf ihr verbracht, und doch war er immer noch höchst verwirrt, wenn er vor Erschöpfung fast zusammenbrach und dennoch in den Gelenken nichts spürte. Im Kopf wusste er, dass daraus das Gefühl entstand, er könne mehr leisten, als es tatsächlich der Fall war. Es gab noch andere Anzeichen: das Kratzen in den Augen, die Kopfschmerzen, die langsam im Mittelpunkt des Schädels entstanden, die leichte Übelkeit. Nichts davon hatte so viel Kraft und war so überzeugend wie die Müdigkeit auf der Erde.
    Die Gänge waren nicht verlassen, aber auch nicht überfüllt. Selbst bei vollem Alarm, wenn alle Teams Doppelschichten einlegten und sich die Ärsche aufrissen, war die Behemoth beinahe leer. Er schwebte durch das Schiff, zog sich von Handgriff zu Handgriff und segelte die Gänge hinunter wie in einem Traum. Er war in Versuchung, stärker zu beschleunigen und nur noch auf die Handgriffe und Leitern zu tippen, wenn er an ihnen vorbeikam, um mit jeder Berührung die kinetische Energie zu verstärken und zu beschleunigen, wie er und seine Männer es damals als Marinesoldaten getan hatten. Mehr als einmal waren Gehirnerschütterungen die Folge gewesen, und dafür hatte er jetzt keine Zeit. Außerdem war er nicht mehr der Jüngste.
    Die älteren Schweißer drehten sich nicht einmal um, doch Bull spürte, dass sie alle aufmerksam lauschten. Er wandte sich an Sam, die ihn mit verschlossener Miene empfing. Bull konnte nicht erkennen, ob es ihr schwergefallen war, ihn um Hilfe zu bitten, oder ob sie erwartete, er solle alles wieder in Ordnung bringen, nachdem er sie bei Pa im Stich gelassen hatte. Es spielte keine Rolle, dass es die kürzeste Festnahme der Geschichte war. Man hatte sie in seine Machtkämpfe hineingezogen. Wie auch immer, sie hatte ihn mit einem Problem konfrontiert, und nun musste er sich darum kümmern.
    Bull holte tief Luft.
    »Was haben wir denn hier?« Die Frage verschaffte ihm ein paar höchst willkommene Sekunden Zeit zum Nachdenken, da sein Gehirn nicht gerade in Höchstform war.
    »Ich habe Ausfälle in einer Hauptleitung«, erklärte Sam. »Entweder nehme ich mir drei Tage Zeit, um das ganze Ding gründlich zu prüfen, oder ich nehme mir zwanzig Stunden, um eine Umleitung zu bauen.«
    »Und die Kabel sind für die Umleitung?«
    »Genau.«
    Bull hob die Faust und deutete wie die Gürtler ein Nicken an, dann richtete er die Aufmerksamkeit auf den Burschen. Gareth war jung und müde und

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