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Abaton

Abaton

Titel: Abaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Jeltsch
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ihm und Linus sah zu ihr hinunter, nickte tapfer. Während sie das Mullstück weglegte, ein Pflaster schnitt und auf die Wunde klebte, hatte Linus ausreichend Gelegenheit, ihren Ausschnitt zu begutachten. Er war stolz auf seinen Einfall, der ihm diesen Ausblick bescherte. Denn ihm gefiel, was er sah. Glatte, helle Haut, übersät mit Sommersprossen ... Er dachte an Judith.
    „Wer Sommersprossen hat, kriegt keine Cellulite!“, hatte sie ihm erklärt und ihn aufgefordert, die Sommersprossen auf ihrem Oberschenkel zu zählen. Er hatte sich redlich bemüht, doch als er an den Rand ihrer Hotpants gelangte, machte sie seiner Forschung ein jähes Ende. „2023!“, hatte sie verkündet. „Ist Rekord in unserer Familie ...“
    „Guckst du mir etwa in den Ausschnitt?“, fragte die Campleiterin. Linus wurde rot, verzog aber schnell wieder das Gesicht, als hätte er unsägliche Schmerzen. Sie rückte ihr Gesicht in sein Blickfeld. „Dann kann es ja nicht so schlimm sein ...“
    Kaum war sie mit dem Verband fertig, war Linus auch schon aus dem Wohnwagen heraus.
    [ 1152 ]
    Durch das kleine Fenster in der Tür schaute sie ihm nach. Dann wandte sie sich um und zog an der Decke eine kleine Klappe zu einem Staufach auf. Sie nahm eine winzige digitale Kamera hervor und spulte zurück. Die Aufnahme zeigte Linus an ihrem Laptop. Sie sah, wie er aufschreckte. Wie er sein Messer nahm und sich in den kleinen Finger schnitt.
    Sie warf einen Blick zu dem blutigen Mullstreifen auf dem Boden. Sie nahm ihn und steckte ihn in den Plastikbeutel mit Linus’ Namen. Dann schloss sie mit einem Lächeln den Laptop. Später, dachte sie und folgte Linus.
    [ 1153 ]
    „Wo bleibst du, Mann?“, rief Simon von Weitem. „Wir dachten schon, du hast dich verpisst.“
    Linus machte eine wegwerfende Handbewegung.
    „Was ist mit dem Finger?“, fragte Edda.
    „Nix. Nur geschnitten“, sagte Linus.
    Die Jugendlichen und Betreuer stiegen in den wartenden Doppeldeckerbus. Die Campleiterin stellte sich an die Tür des Busses und hakte die Namen ab. Und achtete darauf, dass jeder sein Namensschild trug.
    „Kein Kaugummi!“, sagte sie zu Simon, der kauend einsteigen wollte. „Die kleben sonst nur an den Sitzen.“ Sie nahm ein Tempo und breitete es auf ihrer hohlen Hand aus und Simon legte seinen Kaugummi hinein. Wie ihm erging es noch ein paar anderen. Dann waren alle im Bus. Die Türen schlossen sich und der Bus fuhr los. Die Campleiterin sah ihm nach und ging zurück zu dem Wohnwagen.
    [ 1154 ]
    Das Gewirr aus Weichen ließ die S1 und die Menschen in den Waggons wanken. Hin und her. Vollkommen synchron. Als seien sie ferngesteuert von einer fremden Macht. Linus saß Edda gegenüber, betrachtete sie, wie sie aus dem Fenster schaute.
    „Krass ...“, sagte Simon. „Die können also unsere Namensschilder orten.“ Er schüttelte den Kopf. „Warum? Ich kapier das nicht.“ Er schaute seine Freunde an.
    „Wir sollten zur Polizei“, meinte Edda. Simon stimmte zu.
    „Hab dich gehört ... eben. Auf der Treppe. Obwohl du nichts gesagt hast“, entgegnete Linus schließlich. Und wartete auf Eddas Reaktion. Sie wandte den Kopf und schaute ihn an, in die Augen.
    „Das war irgendwie ... deine Stimme in meinem Kopf. Irgendwie spooky“, sagte Linus, als sie weiterschwieg. Edda fixierte ihn. Sie wollte, so gut es ging, ihren Schreck verbergen. Doch was Linus da sagte, zwang sie in die Erinnerung, warf sie sieben Jahre zurück. Genau das Gleiche hatte Shiva, ihr indischer Freund, damals zu ihr gesagt. Im Moment der größten Angst. Als sie umzingelt waren von giftigen Kobras. „Deine Stimme in meinem Kopf.“
    Es war der Tag, an dem Shiva gestorben war.
    „Scheiße. Da sind sie!“ Simon deutete mit einem Nicken zum Ende des Waggons. „Scheiß auf die Namensschilder. An denen lag es offenbar auch nicht!“ Über den Gang kamen die Verfolger auf sie zu.
    Langsam, als wollten sie bei der nächsten Station aussteigen, erhoben sich die drei Freunde und gingen in die andere Richtung des Waggons. Der fremde, hagere Mann ihnen gegenüber, der scheinbar in der Zeitung las, beobachtete genau, was passierte. Er sah kurz den Jugendlichen hinterher, dann blickte er zu den Verfolgern. Seine Hand glitt in seine Manteltasche. Und verharrte da.
    Edda und die Jungen waren fast bei der letzten Tür des Waggons angelangt.
    „Die Fahrscheine, bitte!“
    Auch das noch! Vor ihnen standen drei bullige Kontrolleure. Hinter ihnen lauerten die Verfolger. Sie hatten verloren. Der

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