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Abaton

Abaton

Titel: Abaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Jeltsch
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ihn zu ärgern.
    Schaffte sie aber nicht. Linus nahm sein Handy und streckte den Kopf zum Zelt hinaus.
    Er trat in die Sonne und setzte sich auf einen Stein, um die Kühle der Nacht aus seinen Knochen zu vertreiben. Auf den Zeltdächern lag feiner Tau, an dem sich die Sonnenstrahlen brachen. Und plötzlich fühlte sich Linus für einen Augenblick glücklich und aufgehoben. Wie viel Versprechen in einem neuen Tag liegen konnte, wenn die Sonne schien und wenn sich die Gedanken der Nacht allmählich verflüchtigten! Fast wären ihm doch noch die Tränen gekommen. Doch Linus durfte sich nicht von der schönen Kulisse täuschen lassen.
    In Gedanken ließ Linus Revue passieren, was er in der vergangenen Nacht beobachtet hatte. Er war der Campleiterin heimlich zu einem seltsamen alten Wagen gefolgt, der am Rande des Geländes stand. Unterwegs hatte sie einen Anruf auf ihrem Handy erhalten, war kurz in ihrem Wohnwagen verschwunden, hatte einen Karton mit einer Menge Plastikbeuteln geholt und war dann weiter zu einem offensichtlich geheimen Treffen gegangen.
    Als Linus näherschlich, erkannte er, dass es sich um einen umgebauten, uralten Bus handelte. Die Campleiterin wurde von einem Mann begrüßt, der gut zu diesem Gefährt passte. Er trug eine Lederhose und ein kurzärmeliges Hawaiihemd. Den Verlust seines Haupthaares versuchte er durch einen langen, grauen Pferdeschwanz am Hinterkopf wieder wettzumachen. Er nahm ihr den Karton ab, ließ die Frau in den Bus einsteigen und schloss die Hecktür.
    Linus robbte noch näher heran und war froh, die richtige Schuhwahl getroffen zu haben. Kein Profi-Schuhwerk, aber immerhin kappenverstärkte Sohlen, was das Robben erheblich erleichterte. Obwohl er nun nah am Bus war, konnte er nur Bruchstücke von dem verstehen, was die beiden redeten. Es ging um „Frequenzen“, um „Kritische Massen“ und darum „gut aufzupassen“. Und um die „Berechnung von Dosierungen“, wozu die Inhalte der Beutel dienen sollten.
    Linus glaubte, auch seinen eigenen Namen gehört zu haben und den von Simon und Edda. Aber da konnte er sich auch getäuscht haben. Er richtete sich vorsichtig auf, um durch das kleine Heckfenster in den Bus zu spähen, dessen übrige Scheiben von innen verklebt waren. Er sah den Mann und die Campleiterin und eine Unmenge von Technik, die in den unscheinbaren Bus eingebaut worden war. Es mutete wie ein ultramodernes Tonstudio auf Rädern an. Das einzig Altmodische, das Linus erkennen konnte, war neben dem Hawaiihemd-Mann ein Profi-Tonbandgerät mit großen Spulen.
    Was sollte das alles? Er wollte noch ein Stück näher robben. Ein Ast knackte unter ihm. Linus sah, wie der Mann verharrte. Hatte er etwas gehört? Schließlich hatte er gerade Kopfhörer aufgesetzt. Er kam zur Hecktür, setzte die Kopfhörer ab und horchte mit eigenen Ohren. Linus hatte sich flach auf den Boden gelegt. Es machte sich bezahlt, dass er Tarnkleidung angezogen hatte.
    „Da hört man echt die Flöhe husten ...“, sagte der Mann.
    Die Campleiterin lachte kurz.
    „Also 17 ist krass, echt ...“, sagte der Mann und schloss die Tür wieder. „Aber keine Sorge. Wir werden die Kids bis zur Disco nicht mehr aus den Augen lassen.“
    Linus machte mit seinem I-Phone ohne Blitz ein Foto von dem Mann. Für alle Fälle. Er hasste diese alten Säcke, die glaubten, ihre Jugend zu bewahren, wenn sie so sprachen wie ihre Enkel. Sein Pflegevater war auch so einer. Immer locker. Immer Kumpel. Zum Kotzen. Mehr aber noch klang in Linus nach, was der Mann gesagt hatte. Sie wurden offenbar überwacht. Und mit einem Mal war er überzeugt, dass es mit ihm zusammenhing. Er war einem großen Geheimnis auf der Spur. Dem vom Verschwinden seiner Eltern. Und es gab offenbar Mächte, die verhindern wollten, dass er diesem Geheimnis näherkam. Konnte es sein, dass dieses Camp von jenen Leuten geführt wurde, die von dem Verschwinden seiner Eltern wussten, ja sogar verantwortlich dafür waren?
    Immer wieder kehrten seine Gedanken zu dieser Frage zurück und immer wieder scheiterte er an einer logischen Erklärung. Er machte sich Vorwürfe, nicht sorgfältig genug geplant zu haben, nicht vorsichtig genug. Doch wie hätte er ahnen können, dass er schon lange unter Beobachtung stand?
    „Edda ...?“
    Linus tauchte aus seinen Gedanken auf. Es war Thorben, der nach Edda rief. Er stand in der prallen Sonne und man konnte nicht erkennen, wer mehr strahlte: die Sonne, weil sie musste, oder Thorben in seiner Vorfreude. Er machte sich

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