Abaton
und atmete tief durch. Aus Erfahrung wusste sie, dass es einige Stunden dauern konnte, wenn ihre Großmutter unterwegs war, um nach den gläsernen Blitzen zu suchen …
„Oooohhh, meeeiiin Gott!“, kreischte Linda. Fast wäre sie ohnmächtig geworden. Aber dann stöberte sie schon durch Eddas Kleiderschrank. Suchte nach scharfen Fummeln. Und das Make-up? Kussfest. Unbedingt kussfest ...
Da hatte sie Edda längst mit ihrer Panik angesteckt. Und der prasselnde Regen an den Scheiben schien in seinem schnellen Stakkato den Takt für ihre Hektik vorzugeben.
[ 1246 ]
Im Pfarrhaus wurde Linus schon sehnsüchtig erwartet, weil er auf die Zwillinge aufpassen sollte. Das hatte er hoch und heilig versprochen. Irgendeine Gospelgruppe aus Kuba oder Bali oder den Seychellen war in der Stadt und wenn es Gospelfans gab, dann waren es Rob und Helga. Alle Seligkeit des Glaubens liegt in dieser Musik, sagte Helga. Sie und Rob hatten sich in Schale geschmissen – nun ja, für ihre Verhältnisse.
Linus entschuldigte sich, weil er erst auf den letzten Drücker kam.
„Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige“, belehrte ihn Rob und nahm Linus dann in den Arm, wie er es nach einem Tadel immer tat.
Linus’ neue Eltern machten sich auf den Weg.
Martin und Katharina warteten, bis das Geräusch des Familienvans nicht mehr zu hören war, dann sahen sie Linus erwartungsvoll an, als wäre er eine Sylvesterrakete; ready for takeoff. Linus sollte ihnen nun etwas bieten. Etwas Tolles, Sensationelles, Verbotenes.
„Und was?“, fragte Linus.
„Der Keller“, kam es von beiden gleichzeitig. Katharina hüpfte aufgeregt auf und ab. Und wie immer, wenn sie in Vorfreude hüpfte, musste sie erst mal pinkeln.
„Nicht ohne mich anfangen!“, rief sie im Weglaufen.
Martin schaute Linus an und hob die Schultern. „Weiber ...!“
Linus betrachtete den kleinen Kerl staunend. „Weiber?“
Martin nickte wichtig.
„Was ist denn im Keller?“, fragte Linus.
Da unten war eine Tür und die war verschlossen, erklärte er. „Und wenn Türen verschlossen sind, dann ist doch sicher was Tolles dahinter.“ Das wusste er aus den Märchen.
„Aber es gibt auch immer einen, der sagt, du darfst da niemals einen Blick reinwerfen“, sagte Linus.
„Bitte, nur mal reingucken. Dann gehen wir schlafen.“
Das war ein Versprechen, das Linus gefiel. Nach dem Rückschlag mit dem Archiv musste er einen neuen Plan schmieden. Dazu brauchte er Ruhe.
„Fertig!“, rief Katharina und zog sich das Röckchen herunter, während sie zurückkam.
Mit den Kindern im Schlepptau, die sich eigentlich schrecklich davor fürchteten, in den Keller zu gehen, stieg Linus die knarzenden Holzstufen hinab. Er schämte sich ein bisschen, dass er sich von der Angst der Kinder anstecken ließ. Aber nach der Erfahrung mit diesem Söldner war seine Angst ja nicht ganz unbegründet, fand er. Als im Heizungskeller plötzlich der Brenner ansprang, zuckte er zusammen. Gleich daneben war die verschlossene Tür. Linus drückte die Klinke. Zu. Ein Schloss der Kategorie populäre Klassik, so was wie »Für Elise«.
„Du kennst doch den Mistermint“, sagte Katharina und begann schon wieder zu hüpfen.
„Pscht!“ Linus legte den Finger an die Lippen und Katharina hörte auf zu hüpfen. „Mister Minit, heißt der.“ Er hatte wie immer seine Weste mit den vielen Taschen an und fühlte sich, als er den Bund mit den Dietrichen herausholte, ein wenig wie ein Geheimagent. Er kniete sich vor das Schloss und die Zwillinge beugten sich zu ihm, um alles genau zu verfolgen. Linus setzte sein Werkzeug an und schob den hauchdünnen, metallenen Fühler in den Zylinder des Schlosses.
„Muss noch mal“, sagte Katharina.
„Du hüpfst doch gar nicht.“
„Is’ noch nicht alles raus!“ Sie warf erst Linus, dann ihrem Bruder einen schuldbewussten Blick zu. „Kommst du mit?“ Sie hatte Angst, allein nach oben zu gehen.
Martin verzog das Gesicht. Linus ermunterte ihn, seine Schwester zu begleiten. Er würde inzwischen die Tür öffnen, versprach er.
„Nicht ohne uns aufmachen“, bettelte Martin, während Katharina ihn schon die Stufen hinaufzog.
Linus war froh, allein zu sein. Wie gut er die Zwillinge verstehen konnte. Dieses ständige Wohlverhalten gegenüber Rob und Helga verlangte einfach nach ein wenig Abenteuer als Ausgleich. Er hatte das Schloss inzwischen geknackt, doch wie versprochen wartete er mit dem Öffnen der Tür. „Wer will aufmachen?“, fragte Linus.
Katharina
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