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Abaton

Abaton

Titel: Abaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Jeltsch
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Bernikoff und seinem Codex Universi widmen sollte. Wahrscheinlich genauso absurd wie alles andere von diesem Wirrkopf. Zu abstrus, der Mann. Hat keinen Logos. Lese lieber weiter in der ›Blechtrommel‹ ...«
    Linus blätterte einige Seiten zurück. »11. Januar. Kalt. Deshalb kürzeren Weg über die Dürener Straße gewählt. Revolution in Kuba. Logische Entwicklung. Brauche eine Brille und hoffe auf Plato: Der Blick des Verstandes fängt an, scharf zu werden, wenn der Blick der Augen an Schärfe verliert.« Linus kannte derlei Sätze. So wie sein Großvater geschrieben hatte, hatte er auch geredet. Ein wandelndes Zitatelexikon. Linus blätterte noch ein bisschen in dem Buch, da fiel ein vierblättriges Kleeblatt heraus. Linus schlug die Seiten auf, zwischen denen es gesteckt hatte. »20. März. Junge ist gesund. Mutter auch wohlauf, wie ich höre. Habe Manuel als Namen gewählt. Große Freude empfunden, als ich gestern Thesen des Kollegen Bröders widerlegen konnte. Beifall von den Studenten.«
    Linus war überrascht. Das war ihm bislang noch gar nicht aufgefallen: 1959, in dem Jahr, dem die Aufzeichnungen dieses Tagebuchbands gewidmet waren, war sein Vater geboren, am 20. März. Was ihn aber noch mehr erstaunte: Wie konnte der Großvater die Geburt seines ersten Sohnes mit zwei kurzen Sätzen abhandeln, um dann nahtlos zu einem Streitgespräch mit einem anderen Professor überzugehen? Linus war das unbegreiflich. Und doch war er froh, dass er genau diesen Band in die Hand bekommen hatte. Er spürte, dass er mit der Lektüre des Tagebuchs vielleicht seinem Vater näherkommen könnte. Er wollte gerade von vorn beginnen, als er den Van einparken hörte.
    Jetzt standen Rob und Helga vor ihm und versuchten, sich mit einer fadenscheinigen Erklärung herauszureden.
    „Weißt du, mein Junge, wir waren der Meinung, dass es besser ist, wenn dich nichts mehr daran erinnert, was passiert ist“, sagte Helga und setzte sich.
    „Vorerst“, fügte Rob hinzu. „Wir haben ja schon darüber gesprochen, nicht wahr?“
    „Du hast gesprochen“, sagte Linus kühl.
    „Du hast genickt“, sagte Rob und lächelte.
    „Ein Jahr lang hab ich nach so was gesucht. Ein ganzes verschissenes Jahr ...“
    „Linus, bitte ...“, sagte Rob milde, aber bestimmt.
    „Schmutz in den Worten bringt Schmutz in die Gedanken“, ergänzte Helga.
    „Ein ganzes verschissenes Jahr!“, wiederholte Linus. „Dabei lagen all diese Sachen unten im Keller. Das Einzige, was noch übrig ist von meinen Eltern. Der Rest ist mit dem Stadtarchiv abgesoffen.“
    „Wir verstehen deine ...“
    „Nein! Versteht ihr nicht! Sonst hättet ihr mir die Sachen gegeben!“
    Eine Weile herrschte Schweigen.
    Bis Helga sich schließlich einen Ruck gab. „Also, ich schlage vor, wir reden morgen früh.“ Sie war sehr schlecht im Ertragen von Stille. Wahrscheinlich sang sie deshalb immer vor sich hin, wenn sie allein war.
    „Eine gute Idee“, sagte Rob.
    Linus packte wortlos den Karton vom Tisch und trottete damit auf sein Zimmer. Dort schloss Linus den Laptop seiner Mutter an den Strom an. Der Akku hatte schon vor Jahren den Geist aufgegeben, aber sie mochte dieses alte Teil. Linus rief das Hauptmenü auf. Der Bildschirmhintergrund war ein Foto von ihm. Linus freute das.
    Er begann die Dateien zu durchforsten. Zuerst klickte er auf den Terminkalender. Schnell hatte er gefunden, wonach er so lange gesucht hatte. »22. September, 14 Uhr 30. Dr. Tomas Ono, wg. Metam.« Aufgeregt gab Linus auf seinem eigenen Laptop diesen Namen in die Suchmaschine ein. 81.234 Ergebnisse. Tomas Ono war Manager eines Konzerns namens M.O.T. Nanos. Ein internationaler Konzern, der weltweit Saatgut und Insektizide vertrieb. Jahresumsatz mehrere Milliarden Dollar. Dr. Ono leitete die Niederlassung in Berlin. Er war in Kyoto geboren und aufgewachsen. Mit seiner runden Brille und seinem sanften Lächeln sah er freundlich aus. Und jung. Linus war erst einmal beruhigt. Ein Termin mit einem Konzern, der Saatgut herstellte und vertrieb, leuchtete ihm ein. Was Linus immer noch nicht einleuchtete, war die Ähnlichkeit zwischen den Zuchtpflanzen seiner Eltern und dem Fossil, das er im Museum in Berlin entdeckt hatte. Er suchte weiter in den Dateien. Fand den Ordner »Projekte«. Sie waren alphabetisch geordnet. »Projekt Farn«; »Projekt Mais«; »Projekt Metamorphosis« ... Das sagte Linus gar nichts, klang aber am interessantesten; »wg. Metam.« hatte seine Mutter zu dem Termin in Berlin notiert.

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