Abaton
gesamte Camp zu durchforsten.
Schnell war alles durchsucht. Von Thorben keine Spur. Das war beunruhigend. Genauso beunruhigend für Edda und ihre beiden Freunde aber waren die Gespräche, die die anderen Kinder während der Suche führten.
„Ging die ganze Zeit nur um Klamotten, Musik und irgendwelche In-Tussis aus bekloppten Fernsehshows“, sagte Linus, als sich die drei nach der Suche wieder zusammenfanden. Edda und Simon, die je einer anderen Gruppe zugeteilt gewesen waren, bestätigten das. Selbst all die Klugscheißer, die in den letzten Tagen mit ihrer Allgemeinbildung und originellen Visionen angegeben hatten, wussten jetzt nichts Besseres, als darüber zu dozieren, wie man seine Mütze zu tragen hatte, um cool zu sein.
„Keiner scheint sich Sorgen um Thorben zu machen“, sagte Edda. „Ist wie ’ne Gehirnwäsche.“
„Vielleicht hat er Liebeskummer“, sagte Simon unvermittelt. Er schaute Edda an.
„Was?“, fragte die.
„Vielleicht hättest du Thorben bei der Nachtwanderung gestern nicht verbieten sollen, sich uns anzuschließen.“
„Wir hätten ihn unmöglich brauchen können“, meinte Linus. „Das ist ’n Typ, der den Mund nicht halten kann. Den hätte ich niemals in meine Pläne eingeweiht.“
Edda hatte währenddessen ihr Handy aus der Tasche gefischt und Thorbens Nummer gewählt. Es meldete sich die Mailbox. Edda sprach eine Nachricht an Thorben auf die Mailbox. Dass sie unbedingt mit ihm reden müsse.
Die Campleiterin, die das mitbekam, schüttelte den Kopf.
„Was meinst du, wie oft ich schon versucht habe, Thorben anzurufen.“
Sie war sichtlich in Panik. Die Jugendlichen konnten ja nicht wissen, dass noch viel mehr auf dem Spiel stand als nur Ärger. Falls Thorben etwas zugestoßen war. Ein Unfall. Oder ein Verbrechen. Das Handy der Campleiterin klingelte. Ein Hoffnungsschimmer glitt über ihr Gesicht. Thorben? Doch es war der Anruf, den sie schon befürchtet hatte. Sie wandte sich von den Umstehenden ab und entfernte sich.
„Ja?“
„Code?“, fragte die Computerstimme.
Weil ihr die Stimme versagte, musste die Campleiterin zweimal ansetzen, bis sie den vereinbarten Code genannt hatte. Sie wusste, wenn Thorben jetzt gefunden wurde, in der Phase der Erholung von der Behandlung, könnte ein cleverer Psychologe Veränderungen an dem Jungen feststellen. Sie wartete, bis sie das Klacken am anderen Ende der Leitung hörte, das ihr signalisierte, dass jemand abgehoben hatte. Doch im selben Moment wurde ihre Aufmerksamkeit abgelenkt. Von Edda.
Ihr Handy klingelte. Es war Thorben.
„Wir haben ihn“, sprach die Campleiterin eilig in ihr Handy. „Wir haben den Jungen. Kein Grund zur Sorge.“
[ 1173 ]
So etwas hatte Edda noch nie gesehen. Sie hatte sich bereits gefragt, warum dieser Berg »Teufelsberg« genannt wurde. War es deshalb?
Auf der Spitze des Berges stand eine seltsame Ruine. Türme mit Kuppeln. Mit ein wenig Fantasie hätte es eine Art futuristischer Einstieg zur Hölle sein können, in Wirklichkeit aber waren es die Reste eines Horchpostens aus dem Kalten Krieg. Der für Edda so lange her war wie die Römerzeit. Oder die alten Griechen. Oder dieser Hitler. Vom Teufelsberg aus hatten die Amerikaner den Osten abgehört. Und jetzt saß da oben auf einem Turm Thorben. Und wollte springen. Wollte seinem Leben ein Ende machen.
„Stopp!“, schrie er hinunter, als er sah, dass neben Edda auch die Campleiterin, die Betreuer und ein paar weitere Jugendliche gekommen waren. Darunter Linus und Simon.
„Nur Edda!“, schrie er.
Die Campleiterin sprach mit den pädagogischen Betreuern. Thorben trat näher an den Rand. Die Höhe betrug mindestens 20 Meter. Und noch während die Erwachsenen sich aufgeregt berieten, machte sich Edda auf den Weg.
Thorben lächelte traurig. Er sah, dass Linus Edda kurz aufhielt und ihr etwas in die Hand drückte, aber das war ja nicht weiter schlimm. Er trat einen kleinen Schritt zurück.
Edda war schon ein ziemliches Stück den Berg hinaufgestiegen, als die Campleiterin es bemerkte. Das Mädchen hatte die Initiative ergriffen.
„Sie kriegt das hin“, sagte Linus, als die Campleiterin Anstalten machte, Edda zu folgen. Doch die schob Linus ärgerlich beiseite.
„Ich springe!“, schrie Thorben, als er sah, dass die Campleiterin auch den Berg heraufkommen wollte.
Sie hielt inne. Blickte zögernd zu Thorben. In seiner Körperhaltung drückte sich seine ganze Verzweiflung aus.
Ihre Erleichterung, dass Thorben gefunden war, war einer
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