Abaton
Stimme konnte er sich nicht verkneifen.
„Wissen wir. Weiter.“
„Wir sind alle zu dieser Abhörstation da oben. In den Keller. Einen Riesenkeller. Da hatten die ´ne Disco aufgebaut. Glitzerkugel und so. Total cool ...“ Die Worte, die seine Mutter so gar nicht mochte, kamen plötzlich ganz locker über Thorbens Lippen. Er lächelte.
„Thorben, Mann! Ist dir was Besonderes aufgefallen?“, hakte Linus nach.
„Nö. Cola, Fanta, Wasser. Tanzen ... Der Typ auf dem Foto hat die Musik gemixt ...“
„Würdest du mal erklären, was du von ihm willst?“, fragte Simon.
Linus deutete auf die Jugendlichen am Sammelplatz, mit denen deutlich eine Veränderung vor sich gegangen war. Die herumstolzierenden Mädchen. Die obercoolen Jungs. Die gestylten Frisuren. Die in coolem Winkel aufgesetzten Mützen.
„Vor drei Tagen waren die noch ganz anders. Die haben ihr gesamtes Wissen raushängen lassen und jetzt die Hemden, weil’s cool ist. Sieh sie dir an ... Nur wir sind wie vorher, oder? Und Edda. Und die einzige Veranstaltung, bei der wir nicht dabei waren, ist die Disco.“
„Ich war da“, sagte Thorben.
„Eben. Also, was ist da weiter passiert?“
Thorben zuckte mit den Schultern und zog sein schrecklich buntes Hemd aus der Hose. Weil’s cool war.
„War’s das?“, fragte Thorben dann und schlenderte zu Edda, die noch in ihrem Zelt packte. Er umarmte sie zum Abschied, aber erst, nachdem er sie gefragt und sie es erlaubt hatte.
„Du schreibst mir?“
„Nein, Thorben.“ Enttäuscht blickte er sie an. „Ich maile. Wir leben im 21. Jahrhundert.“
Thorben lächelte glücklich und nickte verlegen. Verdammt! Zum Abschluss war er doch wieder in alte Muster verfallen. Aber das würde sich ändern! Das versprach er sich hoch und heilig. Und ging.
„Was ist deiner Meinung nach passiert?“, fragte Simon Linus.
„Ich weiß es nicht“, sagte Linus. „Aber dieser Kerl hier war der Discjockey.“ Er zeigte das Foto. „Und genau den hab ich in der ersten Nacht bei der Campleiterin gesehen.“
„Was ist daran so seltsam?“
„Die taten so heimlich. Es ging ums Überwachen ... ich glaube, die haben über uns geredet. Dich, mich, Edda ...“
„Uns drei? Leidest du unter Verfolgungswahn, oder was? Warum sollten die uns überwachen?“
„Immerhin haben die Männer uns verfolgt ...“
„Weil wir abgehauen sind.“
„Die Chips in den Namensschildern ...“
„Linus ... Dafür gibt es ´ne Erklärung.“
„Und die Hirnwäsche?“ Er deutete wieder zum Sammelplatz mit den Jugendlichen, die sich über Nacht in Mode-Teenies verwandelt hatten.
Thorbens Mutter wendete den Wagen und wollte mit ihrem Sohn das Camp verlassen, als Linus sich dem Auto in den Weg stellte, sodass sie abrupt bremsen musste. Schreckensstarr saß sie hinter dem Steuer. Linus beugte sich zum Beifahrerfenster hinab.
„Die Kopfhörer. Warum hatte der Discjockey so viele Kopfhörer dabei?“
„Ach ... das war krass ...“
„Thorben ... was soll das?“, sagte die Mutter tadelnd.
„Ja, gleich Ma...“, sagte er und wandte sich wieder an Linus. „Jeder hatte seinen eigenen Kopfhörer, wireless … und durfte seine eigene Lieblingsmusik hören und dazu tanzen. Das war voll ... toll. Schräg ...“
„Und du?“
Thorben beugte sich näher zu Linus und sagte im Flüsterton, sodass seine Mutter es nicht hören konnte: „Ich hab nicht mitgemacht ... ich war ... weil Edda mich nicht dabeihaben wollte ... wollte ich nicht tanzen. Hab auf’m Klo gehockt.“
„Ohne Kopfhörer ...“
Thorben nickte.
„Thorben!“, sagte die Mutter streng. „Keine Geheimnisse.“ Dann wandte sie sich an Linus. „Guten Tag noch, junger Mann!“
Dann gab sie Gas und fuhr davon.
Die Kopfhörer! Linus war sicher, dass er nun eine Spur hatte. Er wusste nicht, wohin sie führte, aber er ahnte, dass er herausbekommen würde, welches Spiel hier gespielt wurde. Und mit etwas Glück würde er dabei zwei neue Freunde an seiner Seite haben ...
TEIL [02]
[ 1201 ]
Edda hatte die Füße auf die Sitzbank gezogen und schaute zu, wie der Fahrtwind die Regentropfen über das Zugfenster jagte, bevor sie zitternd auf der Scheibe zerplatzten und neuen Tropfen Raum machten. Sie saß allein im Oberdeck des Regionalzuges nach Cuxhaven. Die vorbeigleitende Landschaft mit ihren regennassen Kühen und Windrädern verschwamm hinter dem dicken Glas. Und je länger Edda hinausstarrte, desto unwirklicher erschien ihr, was sie im Camp erlebt hatte.
Beim Abschied
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