Abaton
Er nahm sich vor, von nun an regelmäßig seine Muskeln zu trainieren.
Simon kniete sich vor die Duschkabine und zog die lose Kachel heraus. Dann fischte er die Plastiktüte hervor und spähte hinein. Sie war voller kleiner Päckchen. Und voller Scheine. Scheiße, dachte er. Das waren mindestens 3000 Euro. Noch nie in seinem Leben hatte Simon so viel Geld auf einem Haufen gesehen. Er überlegte kurz, dann nahm er die Scheine und stopfte sie in seinen Rucksack. Die Päckchen warf er ins Klo und drückte die Spülung. Die meisten schwammen noch oben und er klappte den Deckel zu. Als er gehen wollte, sah er, dass zwei der größeren Päckchen neben das Klo gefallen waren.
Simon bückte sich, hob sie auf und wog sie kurz in der Hand. Da hörte er, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde. Und weil sich der Spülkasten gerade erst wieder mit Wasser füllte, steckte Simon die Päckchen kurzerhand in die Tasche seiner Jacke. Er schaute auf sein Handy. In vier Minuten fuhr die nächste U-Bahn. Simon schloss die Tür auf, löschte das Licht und trat auf den Flur. Da stand Mumbala.
Beide erschraken.
„Scheiße, Mann! Hab gedacht, du bist eine Skinhead!“
Simon schob sich schnell an Mumbala vorbei und lief auf die Straße hinaus. Die meisten der älteren Araber hatten sich verdrückt. Wie immer um diese Uhrzeit waren sie zur Tanke gezogen.
Als er ein paar Meter gegangen war, warf Simon einen Blick über die Schulter zurück zu dem Gebäude. Er sah, wie das Licht im Bad anging, und wusste, dass sich Mumbala gleich vor die lose Kachel unter der Duschkabine knien und sein Geld und seine Drogen suchen würde. Simon meinte sogar, einen Aufschrei zu hören, und begann zu laufen. Er wusste, dass Mumbalas Schrei sicher nicht den abgeschnittenen Haaren galt, die er überall im Bad hatte liegen lassen. Sollten sie ruhig sehen, dass er sich verändert hatte.
[ 1220 ]
Als Mumbala aus der Haustür stürzte, war Simon nicht mehr zu sehen. Mumbala packte einen der kleineren Araber am Kragen und fragte, in welche Richtung der Junge gegangen sei. Nur zu gerne gab der Auskunft. Mumbala setzte zum Sprint an. Er war schnell. Die Wut trieb ihn an und die Angst, Simon könnte ihn bei den Bullen verpfeifen. Dann könnte er sich die Aufenthaltsgenehmigung abschminken, der Mumbala jetzt so nah war. In nicht einmal drei Monaten sollte seine Hochzeit mit Simons Mutter steigen. Mumbala liebte diese Frau. Er brauchte das Geld vom Dealen, um alles zu bezahlen. Den Flug nach Afrika und die Geschenke. Er wollte nicht mit leeren Händen zu seiner Familie zurückkehren.
Mumbala rannte und rannte. Als er die Lichter der Linie 2 auftauchen sah, legte er noch einmal zu. Das letzte Mal, als er gerannt war, hatten sie auf ihn geschossen. Jetzt war er nur noch wenige Meter von der Straßenbahn entfernt. Nur noch über die Straße. Es wurde gehupt. Bremsen quietschten. „Bimbo!“, schimpfte ein Autofahrer. Mumbala war es egal, er schaffte es noch in den zweiten Wagen. Jemand hatte netterweise die Tür blockiert. Mumbala sprang hinein, bedankte sich und blickte sich suchend um. Hier war er nicht. Im ersten Wagen? Mumbala lief nach vorn. Auch im ersten Wagen konnte er ihn nicht entdecken.
[ 1221 ]
Simon war auf dem Weg zur Haltestelle umgedreht. Mit jedem Schritt, den er sich von zu Hause entfernte, waren seine Zweifel größer geworden. Was tat er da eigentlich?, hatte er sich gefragt. Was war das für eine naive Vorstellung? Dachte er etwa, dass, wenn er nach drei Jahren plötzlich den Vater besuchte und sagte „Da bin ich“, alles wieder gut wäre? Während der Abwesenheit seines Vaters hatte Simon die Zeit davor seltsam idealisiert. Als wäre immer alles wunderbar gewesen zwischen ihnen. War es nicht eher so gewesen, dass sein Vater nie etwas mit Simon hatte anfangen können? Manchmal hatte Simon sogar geglaubt, sein Vater hasse ihn. Sicher hatte das mit dem Tod Davids zu tun, der sein Sonnenschein gewesen war.
Simon hatte den Hass des Vaters verstehen können, als David gestorben war. Er hatte sich ja selbst gehasst. Nicht, weil er den Bruder nicht hatte retten können. Jedenfalls nicht nur deshalb. Vielmehr hatte er sich gehasst, weil er während der Beerdigung, als er zwischen den Eltern saß, dachte, er könne jetzt Davids Platz in ihren Herzen einnehmen. Und weil er bei diesem Gedanken so voller Hoffnung war, während vor ihnen der tote Bruder in dem kleinen Sarg lag. Deshalb hatte er sich gehasst. Und er tat es immer noch.
Simon wurde aus
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